Ein intellektuell unterkomplexes Totschlagargument.

Es ist ein rhetorischer Nullachtfünfzehn-Trick: Um die eigene Position im Vergleich attraktiver darzustellen, versieht man sie mit positiven Attributen und die Gegenposition mit unattraktiven Eigenschaften: Schön versus hässlich, modern versus altmodisch oder eben innovativ versus nicht mehr zeitgemäß. Zieht man diese Strategie auf allen verfügbaren Kanälen durch, bleibt was hängen. Da braucht es dann auch weniger Argumente. Was hilfreich ist, wenn es keine Argumente gibt.

Seit geraumer Zeit hören wir dieses Raunen im Asyl- und Menschenrechtsbereich: Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention seien in einer anderen Zeit entstanden und nicht für unsere Zeiten gebaut worden. Der 2. Weltkrieg und seine Nachwehen, das seien schlimme Zeiten gewesen, aber jetzt sei alles anders. Die Herausforderungen seien nun andere, globalisiert sei alles nun. Die Ergebnisse der Umsetzung der beiden Konventionen würden nicht dem entsprechen, war ursprünglich damit erreicht werden sollte. Kurz zusammengefasst: Sie seien nicht mehr zeitgemäß, es brauche eher innovative Konzepte.

Punkt. Weitere Begründung ist nicht mehr notwendig: Die Rhetorik verfängt. Schließlich sind ja wirklich einige Jahrzehnte seit dem Verfassen der Konventionen vergangen. Missstände im Asylbereich gibt es ja unbestritten viele. Über das Thema Asyl wird gut und gerne diskutiert, besonderes Wissen ist nicht vonnöten, um eine Meinung zu haben. In jeder Diskussion braucht es einen prägnanten Abschlusskommentar wie „eh nett, aber es war für andere Zeiten gebaut, jetzt nicht mehr zeitgemäß“.

Es ist ein Totschlagargument, nach dem die Person, die es ausstößt in der Regel auch nicht mehr weiterreden will. Mit gutem Grund: Wie will auch irgendjemand, der:die bei Trost oder Verstand ist, argumentieren, dass „niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden“ nicht mehr zeitgemäß sein soll? Warum sollen wir ausgerechnet in einer Zeit, in der immer mehr Staaten autoritär regiert werden, dem Machtmonopol erlauben, Rechtsunterworfene erniedrigend zu behandeln?

Menschenrechte sind Abwehrrechte der Individuen gegen die Regierung und Exekutive. Dass für diese Restriktionen wie Menschenrechte unangenehm und beschränkend sind, ist keine Überraschung. Menschenrechte sind auch in Österreich als Abwehrrechte so zeitgemäß wie lange nicht mehr. Leider.