Den „Kampf gegen illegale Migration“ haben sich die rechten Parteien seit Jahren auf ihre Fahnen geschrieben. Familienzusammenführungen sind für Geflüchtete die einzige Möglichkeit der legalen Einreise nach Österreich. Ausgerechnet diese sollen nach Wunsch der ÖVP jetzt bis auf weiteres ausgesetzt werden. Wir haben mit David Rimpf von der Caritas Graz gesprochen und gefragt, wie er und seine Klient:innen mit dieser Situation umgehen.
Viele Geflüchtete sehnen ein Wiedersehen mit ihren Familien herbei. Aber schon vor den politischen Umwälzungen in Syrien und den Schikanen der österreichischen Behörden war es nicht immer leicht: Die Verfahren dauerten oft unverhältnismäßig lange, Papiere wurden nicht anerkannt, Verwandtschaftsverhältnisse angezweifelt und DNA-Tests verlangt. Und auch, wenn es endlich soweit ist und sich lang getrennte Ehepartner:innen wieder in den Armen liegen, Kinder nach Jahren ihre Eltern wiedersehen, ist die Situation nicht einfach.
Manchmal entspricht die österreichische Realität nicht dem, was erwartet wurde. Es kann zudem dauern bis die Nachgeholten ihre Papiere erhalten. Zudem muss in der Wohnung, in der bisher der Vater allein gelebt hat, die ganze Familie unterkommen, größere Wohnungen sind schwer zu bekommen, das Geld reicht nicht aus, weil für eine schnelle Arbeitsaufnahme fast immer die sprachlichen Voraussetzungen fehlen.
In dieser Situation kommt es oft zu innerfamiliären Spannungen, weiß David Rimpf von der Caritas Steiermark: „Es ist eine innerfamiliär schwierige Situation. Die Familienmitglieder haben unterschiedliche Sachen erlebt und entwickeln sich vielleicht auch in verschiedene Richtungen.“ Die Caritas hat auf diese Situation mit der Organisation von Männerrunden reagiert, in denen diese Situation diskutiert wird. „Wir sagen den Männern, dass sie mit den Frauen ehrlich kommunizieren sollen, dass sie in Österreich nicht im Luxus leben. Damit es keine Enttäuschungen gibt und man gemeinsame Vorstellungen entwickeln kann wie das Leben in Österreich ist“, erzählt er.
Seit im Dezember bei syrischen Asylberechtigten vermehrt behördliche Schreiben über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens ins Haus flattern, eskaliert die Situation immer wieder. „Da liegen die Nerven blank.“ Auf häusliche Gewalt folgen Wegweisungen und manchmal die Scheidung. In letzter Zeit, so Rimpf weiter, haben die Caritas-Berater:innen auch erlebt, dass Klienten ernsthaft eine Rückkehr nach Syrien in Erwägung ziehen, ihre Frauen in diesem Fall die Scheidung einreichen und in Österreich bleiben wollen.
Die aktuellen Entwicklungen, insbesondere die eingeleiteten Aberkennungsverfahren, führen zu tiefer Verunsicherung in der syrischen Community. David Rimpf begleitet in der Steiermark anerkannte Asylwerber:innen beim Übergang in ein „normales“ Leben in Österreich. Während der ersten ein bis zwei Jahre gibt es Unterstützung bei der Wohnungssuche, bei Behördengängen und dem Berufseinstieg. Zu den Klient:innen entsteht in dieser Zeit ein intensives Vertrauensverhältnis. „Was wir jetzt in der mobilen Integrationsbetreuung erleben, ist die totale Verunsicherung. Leute, die eine Berufsausbildung begonnen haben, kommen zu uns und sagen sie hauen den Hut drauf.“ Viele Klienten haben ein Aberkennungsverfahren laufen und wissen nicht, ob sie dableiben dürfen. Rimpf schildert die Situation eines Klienten, der nach ca. 18 Monaten Asyl bekommen hat und, da er auf eine schulische Bildung in Syrien zurückgreifen konnte, schnell eine Berufsausbildung in der Metallbranche in Angriff nehmen konnte. „Er hat zum ehest möglichen Zeitpunkt einen Antrag auf Familienzusammenführung für seine Frau gestellt und hat daraufhin einen Brief bekommen, mit der Verständigung über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens.“ Der Klient war komplett erschüttert, als er mit dem Schreiben des BFA in der Beratungsstelle der Caritas auftauchte. „Er hat gefragt, was das jetzt heißt. Wann werde ich jetzt abgeschoben? Soll ich die Ausbildung noch weitermachen? Darf ich überhaupt noch in die Arbeit gehen?“ Als klar wurde, dass eine Asylaberkennung angesichts der volatilen Lage in Syrien nicht möglich ist, konnte er es kaum fassen, dass seine Frau bis auf weiteres von ihm getrennt bleiben muss. „Nach all den Herausforderungen, die er die letzten Jahre auf der Flucht, aber auch hier in Österreich bewältigen musste, hat ihn jetzt der Mut verlassen“, schildert Rimpf die Auswirkungen des behördlichen Schreibens.
„Wir müssen uns für die Klienten viel Zeit nehmen, zuhören, um ihnen zu helfen mit dieser Situation umzugehen. Ihnen erklären, dass es noch keine Entscheidung über Aberkennung geschweige denn Rückkehr gibt.“ Der Frust, die Unsicherheit und ein gestörtes Verhältnis zu Österreich und seinen Behörden bleiben. „Wenn man immer in Unsicherheit lebt, kann man zu nichts Vertrauen aufbauen.“ Die Caritas muss zurzeit viele Menschen betreuen, die erst vor kurzem Asyl bekommen haben und bei denen es noch nicht zu Familienzusammenführungen gekommen ist. „Bei manchen sitzen die Frau und die Kinder seit Jahren in irgendeinem Lager in der Türkei.“
Besonders katastrophal wirkt sich die Praxis der Asylbehörden auf „nachgeborene“ Kinder aus. „Weil keine syrischen Verfahren weitergeführt werden, kommt es zu ganz schwierigen Situationen bei neugeborenen Kindern“, beschreibt der Sozialberater eine Konstellation, die für eigentlich schon gut angekommene Familien schnell existenzbedrohend wird. „Sie reichen für das Asylverfahren des Babys alles beim BFA ein – Geburtsurkunde, Meldezettel, etc. Was folgt ist die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens für die Eltern und das Asylverfahren des Kindes wird nicht bearbeitet, bleibt liegen.“ Die Folge, es gibt keine Familienbeihilfe und damit auch kein Kinderbetreuungsgeld. Das Kind ist auch nicht versichert – einzige Lösung ist, das Baby als asylsuchend über die Grundversorgung zu versichern, was auch seine Zeit dauert. „So gibt es in Österreich zurzeit viele Kinder, die, weil ihre Eltern Konventionsflüchtlinge sind, in absoluter Armut leben.“ Wenn beide Eltern ein Erwerbseinkommen hatten und das der jungen Mutter jetzt ausfällt, sind die täglichen Kosten meist nicht mehr zu stemmen. „Niemand weiß, wie lange diese Situation dauern wird, bis sie einen positiven Asylbescheid bekommen.“ Das Gespräch führte Herbert Langthaler

