Im Herbst 2015 waren die Aufnahmekapazitäten in Österreich erschöpft. Ab August wurden 500 Geflüchtete vorübergehend im slowakischen Lager Gabčíkovo untergebracht – trotz heftiger Proteste der Bevölkerung.
Riem war eine davon.
Ich bin mit meiner Familie Ende September 2015 in Österreich angekommen. Ich war damals 20 Jahre alt. Unsere Flucht aus Syrien wurde von Schleppern organisiert, die haben uns jeweils angewiesen, was wir zu tun haben, aber wir haben nie vorher gewusst, wie und wo es weitergeht.
Von der Türkei sind wir auf die griechische Insel Kos gefahren, von dort nach Athen und weiter über Nordmazedonien und Serbien nach Ungarn. In Budapest sind wir nur eine Nacht geblieben und sind gleich mit dem Auto weiter nach Wien. Mein Bruder, der schon in Österreich war, hat uns bereits erwartet und nach Traiskirchen gebracht. Im Zug nach Traiskirchen sind wir schwarzgefahren, wir hatten nicht gewusst, dass wir eine Fahrkarte brauchen.
Wir haben eine Nacht dort verbracht, etwas zu essen bekommen und zum Anziehen. Aber wir haben wie im Hühnerstall geschlafen, auf Kartons am Boden, sehr viele Leute in einem Zimmer. Die Polizei hat uns fotografiert. Die Fotos waren ganz schlimm, weil wir wie die Affen ausgesehen haben – das Kopftuch mussten wir hinter die Ohren stecken, sie haben dann so komisch rausgeschaut. Meine Mutter hat nicht erlaubt, dass ich das Kopftuch abnehme.
Unsere Familie wurde dann getrennt. Einer meiner Brüder war schon in Oberndorf und dort ist ein Platz frei geworden, also sind meine Eltern, mein Bruder und seine Familie nach Oberndorf gebracht worden.
In Traiskirchen haben sie uns gesagt, dass Österreich ein Camp in der Slowakei gemietet hat. Sie haben mich, meine Schwester, meinen Schwager und ihre drei Kinder einfach dorthin geschickt, wir konnten es uns nicht aussuchen. Ich habe Angst gehabt, dass die Eltern in Österreich bleiben und wir irgendwohin kommen. Die Dolmetscherin hat uns beruhigt, und uns wurde versprochen, dass wir schneller einen positiven Asylbescheid bekommen werden.
In Gabčíkovo
Gemeinsam mit anderen Familien wurden wir mit dem Bus in die Slowakei gebracht. Es war viel besser als in Traiskirchen, wir haben ein Apartment gehabt, ein Zimmer für mich mit meiner Tochter, ein Zimmer für die Familie meiner Schwester, das Bad hatten wir gemeinsam.
Das Frühstück war schon um fünf Uhr in der Früh, das war ok, Semmel und Marmelade, aber das Mittag- und Abendessen war sehr schlecht, das konnten wir nicht essen, wir haben fast nur Semmeln gegessen. Ich habe ziemlich viel abgenommen.
Die Leute in der Slowakei waren sehr unfreundlich, haben uns auf uns gespuckt vom Fenster oder vom Auto aus. Einmal hat jemand aus dem Auto sogar eine leere kleine Kaffeetasse auf uns geworfen. Wir konnten dort einen Deutschkurs besuchen, mit meiner Schwester bin ich jeden Tag in der Früh zwei Stunden im Deutschkurs gewesen. Es waren dort mehr Männer als Familien. Mein Schwager war besorgt, hat immer ein Auge auf seine Frau gehabt, ob die vielen jungen Männer mit uns reden. Er hatte auch Bedenken wegen des Deutschkurses, weil dort nur Männer waren, er selbst hat nicht teilgenommen.
Die Zimmer mussten wir selber putzen. Wir verbrachten fast den ganzen Tag im Hof des Gebäudes, dort haben wir viele Leute kennengelernt. Manche haben ganz schlimme Situationen auf der Flucht erlebt, einige haben den ganzen Weg von Syrien bis hier zu Fuß zurückgelegt, mache wurden von Schleppern betrogen. Einer, ein sehr guter Schwimmer, hat erzählt, dass er zur griechischen Insel geschwommen ist, weil ihr Boot von der Polizei angeschossen wurde.
In Gabčíkovo war ich ungefähr zwei Monate. Als in Oberndorf ein Platz frei geworden ist, sind wir dorthin gebracht worden. Nun war die ganze Familie in einem großen Haus. Meine Mutter hat gekocht und ich so viel gegessen, als ob ich vorher noch nie was bekommen hätte, ich war so ausgehungert.
Meine Tochter ist gleich in den Kindergarten gegangen. Die Mehrheit der Menschen in der Stadt waren freundlich. Wir waren dort sehr zufrieden und glücklich, haben immer alles bekommen was wir gebraucht haben. Wir sind dann in den Deutschkurs gegangen, auch mein Schwager musste mitmachen, ihm wurde gedroht, dass er sonst kein Taschengeld bekommt. Ich und meine Schwester haben A1 und A2 gemacht, Alphabetisierung brauchte ich nicht, ich habe ja in Syrien bis zur Matura Englisch und Französisch gelernt.
Schnelle Asylverfahren
Wir wurden beim Bundesasylamt interviewt. Das hat den ganzen Tag gedauert. Jeder aus der Familie wurde etwa eineinhalb Stunden befragt. Ich wurde wirklich jedes Detail gefragt, warum und wieso, warum nach Österreich, wie und wo wart ihr in Syrien, ist jemanden aus der Familie verhaftet worden … Der positive Bescheid ist dann nach drei oder vier Monaten gekommen. Dann haben meine Schwester und mein Schwager eine eigene Wohnung bekommen. Bald ist noch eine Wohnung frei geworden, ich bin mit den Eltern dorthin gezogen. Mein Mann war schon ein Jahr früher geflüchtet, ich hab mich aber von ihm scheiden lassen. Heute lebe ich in der Stadt Salzburg, habe wieder geheiratet, arbeite in der Schule und bin mittlerweile österreichische Staatsbürgerin.

