Sowohl 2015 als auch 2016 wurden die meisten Asylanträge von gestellt. Die Asylverfahren der 2015/16 gekommenen afghanischen Staatsbürger:innen dauerten lange und endeten oft negativ. Ihnen drohte die Abschiebung nach Afghanistan. Hunderte mussten in andere EU-Staaten weiterziehen.
Von Erika Kudweis
Das Entsetzen war den Dreien ins Gesicht geschrieben. Das Unfassbare war passiert. Waheed hatte trotz authentischem Asylgrund, bester Vorbereitung und der Vertretung durch einen Asylanwalt das finale NEIN zu seinem Aufenthalt in Österreich bekommen. Kein internationaler Schutz war ihm gewährt worden. Was nun?
Ursprünglich hatten Martina Höss und ihr Partner Michael Holzmüller 2016 den jungen erwachsenen Afghanen Waheed auf der Transition Base, einem Projekt für experimentelles und nachhaltiges Bauen, kennengelernt. Sie bauten damals einen alten Zirkuswagen in ein Tiny-Haus um. Waheed war in der gleichen Baugruppe und brachte sich gleich ein – er konnte mit anpacken und trotz noch bescheidener Deutschkenntnisse war er ein wertvolles Mitglied der Gruppe.
Der Kontakt blieb auch nach diesem Projekt aufrecht, Martina begleitete Waheed zur Caritas, stellte ihn der betagten Nachbarin vor und diese begann mit ihm Deutsch zu lernen. Langsam wurde Waheed ein Teil von Martinas und Michaels Leben und umgekehrt.
Waheed: „Ich erinnere mich sehr gut als ich Martina und Michi zum ersten Mal gesehen habe. Es war sehr lustig, weil ich noch nicht sehr gut Deutsch konnte. Wir haben dann angefangen, ohne den anderen gut zu verstehen, eine sehr starke Beziehung aufzubauen.“
Flucht nach Frankreich
Martina übernahm die Patenschaft für Waheed und gemeinsam kämpften sie für seine Möglichkeit, in Österreich bleiben zu dürfen. Aber im Sommer 2019, nach dreieinhalb Jahren war es Gewissheit: Der Staat Österreich möchte ihn abschieben. Dem entzog sich Waheed und begab sich neuerlich auf die Flucht. Diesmal nach Frankreich. Und das war eine gute Entscheidung. Denn Waheed erhielt Asyl. Doch zuvor musste er das sogenannte Dublin-Verfahren überstehen. Er hatte wahrheitsgemäß seine Identität in Frankreich bekannt gegeben und die Behörde hatte auch seine Fingerabdrücke gefunden. Acht Monate zitterte Waheed, denn jedes Monat musste er sich bei der Präfektur (Polizei) melden. Jedes Mal hatte er Angst, dass er nun nach Österreich und dann weiter nach Afghanistan abgeschoben werden könnte. Aber das war nicht passiert.
Waheed durfte ins Asylverfahren, machte dort die gleichen Angaben wie zuvor in Österreich und erhielt Asyl, lernte Französisch und war ein wichtiger Teil des Erasmusprogramms CoEUr – Mit ganzem Herzen für Europa des Vereins PatInnen für alle. In Lyon berichtete er 2021 in einer Diskussionsrunde den anwesenden Politikerinnen (der Vizebürgermeisterin und einer Stadträtin) über seinen Werdegang, seine Angst vor Abschiebung und sein Engagement für die Integration von Geflüchteten. Er sprach sowohl in Deutsch (für die Delegation aus Österreich) als auch auf Französisch für die Zuhörer:innen vor Ort. Es waren alle schwer beeindruckt und die beiden Politikerinnen verließen den Saal mit Tränen in den Augen. Recht so. Danke an Waheed!
Seine Pateneltern waren 2021 mit CoEUr nach Lyon und auch 2023 nach Marseille als Betreuer:innen mitgekommen, denn sie begleiteten Waheed auch weiterhin auf seinem Weg. Das gab ihm die Kraft durchzuhalten.
Solidarität über Grenzen
Was macht denn das Verhalten des österreichischen Staats mit all jenen, die den Weiterfliehenden lieben und zurückbleiben? Es wird ihnen das Vertrauen in den Rechtsstaat Österreich genommen. Denn wie kann es sein, dass jemand in Frankreich auf Anhieb Asyl und damit internationalen Schutz erhält und in Österreich in keiner Instanz Recht erhielt? Diese Entscheidung des Staates Österreich bedingt, dass ein Teil des Lebens der helfenden Österreicher:innen zerstört und ein geliebter Mensch, der voll integriert war, in die Ungewissheit geschickt wird. Wenn nicht nach Afghanistan, dann durch die Weiterflucht nach Frankreich oder ein anderes europäisches Land. Sie müssen wieder mit einer neuen Sprache beginnen, noch bevor sie die Gewissheit haben, nun vielleicht doch endlich bleiben zu dürfen.
Und es kostet viel Kraft den jungen Menschen, den Patensohn, auf diesem schwierigen Weg zu begleiten. Vielen ging es so. Man zittert mit und hofft. Das vorher erwähnte Erasmusprojekt CoEUr griff diesen Schmerz der Zurückgebliebenen und jener der Weitergeflohenen auf und ermöglichte mehrmals ein Wiedersehen in Frankreich. Gemeinsam erleben die jungen Menschen die europäische grenzüberschreitende Solidarität, setzen sich für die weitere Integration der Geflüchteten ein und schaffen so bei den politischen Entscheidungsträger:innen Bewusstsein.
„Ich bin noch immer sehr froh, dass ich meine europäische Familie gefunden habe“, erklärt Waheed, der sich als Europäer fühlt – was gibt es Schöneres und Tröstenderes? Er ist angekommen und darf bleiben. „In Brest habe ich eine Ausbildung als Elektriker gemacht und bin sehr zufrieden damit“, erzählt er und ergänzt: „Ich fühle mich hier sehr wohl – wie in Jahgori, wo ich geboren bin. Ja ich fühle mich wirklich zu Hause!“

