Als Kleinkind kurz vor Weihnachten 2015 in Graz gelandet, ist Sondos Hamo heute eine erfolgreiche Gymnasiastin mit ambitionierten Plänen.
Von Eva Reithofer-Haidacher
Sondos Hamo ist ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen. Bald wird sie 13 Jahre alt. Ihre Hobbies sind Schwimmen und Tauchen, Lesen, Filme, Radfahren, Musik und Tanzen – und sie bereitet sich gerade auf die Physik-Olympiade vor. Sie ist Vorzugsschülerin und hat viele Freundinnen in ihrer Klasse im Grazer Pestalozzi-Gymnasium. Also ein sorgloses Leben, möchte man meinen.
Doch hin und wieder treten dunkle Schatten auf: Sie erinnert sich an ihre Flucht vor zehn Jahren, an Hundegebell im dunklen Wald, an Polizeisirenen, an steile, rutschige Wege am Arm ihrer Mutter. Sie hat ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis und kann sich an viele Details erinnern, obwohl sie noch nicht einmal drei Jahre alt war. „Es war Nacht und überall war Matsch“, weiß Sondos. Noch heute träumt sie manchmal von dieser furchteinflößenden Zeit.
Damals, im Dezember 2015, ging alles gut aus: Sondos und ihre Mutter Nahrin kamen aus dem Irak, wohin sie zwischenzeitlich aus dem kriegsgebeutelten Syrien geflüchtet waren, über den Balkan in Graz an. Dort erwartete sie ihr Vater Abdul schon. „Ich war glücklich und habe ihn umarmt“, erzählt Sondos. „Es war ein sehr schönes Gefühl.“ Die kleine syrisch-kurdische Familie war nach eineinhalb Jahren endlich wieder vereint.
Ein neues gemeinsames Zuhause
Wo aber sollten Abdul, Nahrin und Sondos unterkommen? Der Vater wohnte damals in einem Männer-Quartier der Caritas und hatte Sorgen, dass seine Frau und das Kind in ein Aufnahmezentrum in ein anderes Bundesland gebracht würden. Abduls Deutschlehrerin startete spontan einen Facebook-Aufruf, der rasch Erfolg hatte: Ein Grazer Ehepaar räumte die leer gewordenen Kinderzimmer und nahm die dreiköpfige Familie auf. Nur wenige Wochen nach dem Tod des dreijährigen Flüchtlingskindes Alan Kurdi, dessen Leichnam an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt worden war, waren Mitgefühl und Hilfsbereitschaft in der österreichischen Bevölkerung groß. Viele wollten einen Beitrag leisten.
Sondos erinnert sich daran, kurz nach ihrer Ankunft zum ersten Mal Schnee gesehen und im Garten einen Schneemann gebaut zu haben: „Das war die positive Seite der Kälte, die ich eigentlich als unangenehm empfunden habe. Inzwischen habe ich mich an die anderen Temperaturen gewöhnt.“
Familie Hamo und ihre Gastgeber:innen haben es gut getroffen: Aus dem mehrmonatigen Zusammenleben wurde eine bis heute andauernde Freundschaft. Der kurdischen Familie ist es gelungen, als Asylberechtigte anerkannt zu werden. Sondos hat mit dem mittlerweile neun Jahre alten Youssef einen kleinen Bruder bekommen. Ihr Vater arbeitet als Pizzakoch, sie haben eine schöne Wohnung und einen großen Freund:innenkreis.
Das Beste aus beiden Welten
Sondos besucht die Eheleute am Stadtrand von Graz, in deren Haus sie ihr erstes Jahr in Österreich verbracht hat, gerne. Gemeinsam mit ihnen, ihren Kindern und Enkelkindern fährt sie auf Urlaub, geht ins Schwimmbad, macht Radausflüge, werden Geburtstage und vieles mehr gefeiert. Die Urlaube mit ihrer eigenen Familie gehen meistens nach Deutschland, wohin der Rest der Großfamilie geflüchtet ist. Mit den Großeltern, Onkeln, Tanten und der großen Anzahl an Cousins und Cousinen gehen die Ferienwochen im Fluge dahin.
Sondos hat aus den beiden Welten, in denen sie lebt, jeweils das Beste verinnerlicht. Schön findet sie, dass in der kurdischen Community die Familie einen so großen Stellenwert hat. „Die Kinder dürfen länger aufbleiben und gehen oft erst gemeinsam mit den Erwachsenen zu Bett. Sie werden strenger erzogen und sind respektvoller zu ihren Eltern und Großeltern,“ fällt ihr auf. Dafür seien Jugendliche in Österreich freier und ältere Menschen fitter, weil sie Sport betreiben und gesundheitsbewusster leben.
Der Wunsch nach Frieden in der Welt
Sondos hat ein großes Herz: Als ein aus der Ukraine vertriebenes Mädchen in ihre Klasse kam, hat sie ihr geholfen so gut sie konnte. Eine Frage beschäftigt Sondos seither besonders: „Warum gibt es immer noch Krieg auf der Welt?“
Eigentlich wollte sie Ärztin werden. Wunden zu heilen ist ihr mittlerweile aber zu wenig. Vielleicht lieber Klimaforscherin. Sie ist Mitglied im Klimarat der Schule und das Thema ist ihr sehr wichtig. „Oder Politikerin? Jemand, der die Macht hat, Kriege zu verhindern?“, fragt sie sich.
Sie weiß, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Aber was immer sie für einen Beruf wählt, sie wird es schaffen. So wie sie auch die schwierigen Jahre ihrer Volksschulzeit, als die Covid-Pandemie immer wieder zu Homeschooling zwang, gemeistert hat. Sondos ist eine Kämpferin und sie wird ihr Ziel erreichen.

