In vielen Ortschaften rund um Wien wurden 2015 Geflüchtete untergebracht. Unter ihnen auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Es lag nahe, das erfolgreiche Konzept der Patenschaften für Kinderflüchtlinge örtlich und inhaltlich auszuweiten.
Von Miriam Peltoranta
Gegründet wurde der Verein PatInnen für alle Anfang des Jahres 2016 von Erika Kudweis und Nora Binder als Privatinitiative. Obfrau Kudweis hatte zuvor selbst bei connecting people dem Patenschaftsprojekt der asylkoordination mitgemacht. Hier erhalten unbegleitete minderjährige Geflüchtete dringend benötigte Unterstützung: Hilfe bei der Bewältigung komplizierter rechtlicher Verfahren, neuer Gesundheits- und Bildungssysteme oder einfach emotionale Unterstützung.
Erika Kudweis erinnert sich, wie groß das Interesse der Menschen in ihrer niederösterreichischen Gemeinde an solchen Initiativen war: „Sie sahen wieviel Freude es mir und Ali bereitete und wollten auch PatIn sein. Aber für Niederösterreich im Westen Wiens gab es das Angebot noch nicht, deshalb wurde der Verein PatInnen für alle gegründet.“
Unter dem Motto „Patenschaften stärken uns alle” verbindet die Organisation auf freiwilliger Basis Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Herkunft und Lebensumstände mit Paten und Patinnen in Wien, Niederösterreich und Kärnten. Insbesondere Kinder mit Fluchtgeschichte, solche aus Familien mit erkrankten oder behinderten Angehörigen sowie Kinder, die innerhalb der Familien einen Todesfall erlebt haben, erhalten auf diese Weise dringend benötigte Aufmerksamkeit und Unterstützung. Sie gewinnen einen vertrauten Erwachsenen, der ihnen in herausfordernden Lebenssituationen zur Seite steht.
Diese Patenschaft ist als lebenslange Beziehung konzipiert. Die Organisation bietet sowohl den Pat:innen als auch den Patenkindern umfassende Unterstützung und Vorbereitung an. Workshops und Infoabende setzen sich mit den unterschiedlichen Formen von Patenschaften und den damit verbundenen Herausforderungen auseinander und vermitteln Interessent:innen fundiertes Wissen. Auch für Patenkinder werden Workshops angeboten, um ihnen die Möglichkeiten und Regeln des Programms verständlich zu machen.
Paten und Patinnen fungieren als Brücken zu Institutionen, etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen, und eröffnen somit den Zugang zu verbesserten Chancen. Im Rahmen des Programms erhielten z. B. Kinder, die aufgrund systemischer Verwahrlosung andernfalls möglicherweise keinen Schulplatz bekommen hätten, die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen.
Das Projekt entwickelt sich weiter
Zusätzlich unterstützt PatInnen für alle die Patenkinder sowie weitere Interessierte, bei dem häufig komplexen und emotional belastenden Asylverfahren. Erika Kudweis: „Unsere Workshops gegen die Angst entstanden aus der Not unserer Patenkinder und ihrer PatInnen. Für uns alle sind Gerichtsverhandlungen unglaublich belastend. Die Angst vor Abschiebung lähmt. Da brauchte es Hilfe, das war mir schon bei der ersten Asyl-Gerichtsverhandlung Anfang 2018 klar.“ Neben den rechtlichen Grundlagen des Asylverfahrens umfassen die Workshops auch praktische Hinweise, etwa wie man sich vor Gericht am besten verhält oder zur effektiven Zusammenarbeit mit Dolmetscher:innen. Ein weiterer zentraler Aspekt der Unterstützung besteht darin, geflüchteten Menschen dabei zu helfen in einer derart stressbeladenen Situation Ruhe zu bewahren.
Die Organisation hat sich auch im Laufe der Jahre weiterentwickelt, wie die Patenkinder selbst. Viele derjenigen, die in den Jahren 2015 und 2016 kamen und von PatInnen für alle begleitet wurden, haben einen gesicherten Aufenthaltsstatus bekommen und eine Familie gegründet. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2023 das Angebot erweitert: Patenschaften werden nun auch gezielt für junge Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren angeboten. Für ihre herausragenden Leistungen wurde der Verein mit mehreren Auszeichnungen geehrt. So erhielt ihr Jugendpartizipationsprojekt CoEUr sowohl den Austrian SDG Award als auch den Erasmus+ Award im Jahr 2023.
Doch die politische und gesellschaftliche Landschaft hat sich inzwischen stark gewandelt. Obwohl die Situation vor zehn Jahren keineswegs ideal war, erinnert sich Obfrau Erika Kudweis: „Wir kämpfen derzeit mit dem Umstand, dass die Zivilgesellschaft sich in vielen Bereichen zurückgezogen hat. Diese Hilfe fehlt den jugendlichen Geflüchteten besonders. Ihre sprachliche Entwicklung ist verlangsamt. Oft hatten sie noch kaum Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft außerhalb der Schule.“
Dieser deutliche Mangel an Empathie sowie die zunehmende Ablehnung von Zuwanderung haben die Arbeit erschwert. PatInnen für alle ist jedoch nicht an eine übergeordnete Organisation gebunden, wodurch es eine hohe Flexibilität bewahrt und sich rasch an veränderte Rahmenbedingungen sowie Bedürfnisse anpassen kann. Unabhängig von der derzeitigen Stimmung setzt sich die Organisation weiterhin mit unermüdlichem Engagement für ihre Patenkinder ein.

