Familie F. hat es geschafft sich in einer kleinstädtischen Umgebung in Niederösterreich gut einzuleben. Geholfen haben dabei die ehrenamtlichen Helfer:innen von Willkommen Mensch.
Von Sepp Ginner
Arma, geboren 1979, war in der neunten Klasse der allgemeinen Grundschule, als der Bürgerkrieg in Kabul zwischen unterschiedlichen Mujaheddingruppen ausbrach. Es war dies der Anfang einer jahrzehntelangen Abfolge von Kriegen und der Diktatur der Taliban, die für Arma Hausarrest und Abbruch der Schullaufbahn bedeutete.
Sie heiratete 2006 den um zehn Jahre älteren Yossuf, der einige Zeit in Moskau als Händler mit Waren aller Art gearbeitet hatte und nun nach Kabul zurückgekehrt war.
Für die drei Kinder, die sie in rascher Folge gebar, sah Arma keine Zukunft in diesem von Krisen gebeutelten Land. Als die erste Tochter eines Tages am Schulweg fast entführt wurde, reichte es Arma. „Yossuf!“, sagte sie zu ihrem Mann, „wir müssen hier weg!“ Und die beiden beschlossen, über Moskau nach Europa zu flüchten. Yossuf organisierte einen Flug nach Moskau und die Weiterreise nach Europa. Von Russland ging es zu Fuß und per Auto in Richtung Westen. Mehrere Wochen waren sie unterwegs, oft in Wäldern in einem Zelt übernachtend. Das jüngste der drei Kinder war erst eineinhalb Jahre und musste getragen werden. Yossuf fielen fast die Arme ab von der Anstrengung und das Kind weinte die ganze Zeit.
Über die Slowakei wurden sie von Schleppern während der Nacht weitergeleitet, schließlich gelangten sie gemeinsam mit anderen Flüchtlingen in einem Kastenwagen nach Wien. Dort wurden sie festgenommen und nach einer Nacht im Anhaltezentrum nach Traiskirchen überstellt. Endlich etwas Sicherheit: ein Raum mit vier Betten, Sanitäranlagen, Essen, Frühstück, Mittagessen und Abendessen, dazwischen auch noch eine Jause. Die Leute waren freundlich, es ging alles geordnet ab und man hatte Ruhe.
Endlich in Sicherheit
Es begannen die Einvernahmen und bald schon die Gewissheit: Ja, man darf bleiben. Der Familie wurde subsidiärer Schutz gewährt. Nach zwei Monaten in Traiskirchen ging es weiter nach Puchenstuben an der Mariazellerbahn. Die Herberge lag im obersten Ortsteil, eine steile Straße führte hinauf und weil Mia schon sieben Jahre alt war, wurde sie sofort eingeschult. Die kleine Volksschule im Ort konnte nur wegen der zahlreichen Flüchtlingskinder im schulpflichtigen Alter aufrecht erhalten werden.
Sieben Monate später, es war ein sehr schneereicher Winter, kam die Einladung, in den Ort Steinakirchen am Forst zu kommen. Dort hatte ein kleiner Verein Willkommen Mensch eine Wohnung eingerichtet, gerade groß genug für eine fünfköpfige Familie. Im Jänner 2015 wurde die Wohnung bezogen. Yossuf konnte einen Deutschkurs besuchen, aber wichtiger war es für ihn – und für die Zukunft seiner Familie in Österreich –, dass er mithilfe des Vereins schnell eine Arbeit fand. Ein großes Sägewerk stellte ihn im Oktober 2015 als Sägehelfer ein. Er fuhr die sechs Kilometer bis zum Sägewerk mit dem Fahrrad oder mit Arbeitskollegen.
Arma war wegen der Kinder viel zu Hause. Hannelore, eine pensionierte Volksschullehrerin, unterrichtete sie fast jeden Tag in Deutsch und so konnte sie bald mit den Nachbarn und den zahlreichen Helfer:innen des Vereins gut kommunizieren.
Mia und Usaf gingen in Steinakirchen in die Volksschule, Junos in den Kindergarten. Für die Kinder war es leicht, Deutsch zu lernen und schon nach kurzer Zeit hatten sie Freund:innen und plauderten im ortsüblichen Dialekt.
Endlich ein sicheres Zuhause zu haben, war für die Familie beruhigend und stabilisierend. Arma wurde schwanger. Im Dezember 2016 kam Minia zur Welt.
Keine Staatsbürgerschaft für Familienvater
Die Berufung gegen den Erstbescheid auf subsidiären Schutz führte dazu, dass die ganze Familie Aslyberechtigung erhielt. Arma, mit dem Baby am Arm, konnte die Richterin überzeugen, „dass sie in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt, sondern diese ablehnt und sich in Österreich an eine Lebensführung ohne religiös motivierte Einschränkungen angepasst hat“.
Die Familie übersiedelte in eine größere in Wolfpassing. Als Minia das Kindergartenalter erreichte, suchte auch Arma Arbeit und wurde in einem Gasthaus in Wolfpassing als Küchenhilfe angestellt. Mia, die älteste Tochter, wechselte nach der Mittelschule in das Oberstufengymnasium Scheibbs. Usaf besucht nun die Handelsakademie in Amstetten, Junos die Mittelschule in Steinakirchen und Minia die Volksschule.
2024 suchte Arma um die österreichische Staatsbürgerschaft an, die im März 2025 an alle Mitglieder der Familie verliehen wurde, außer an Yossuf, der wegen fehlender B1-Prüfung nicht ansuchen konnte. Einen Deutschkurs neben der Schichtarbeit zu besuchen, war ihm nicht möglich gewesen. Ihm war es wichtig, Geld zu verdienen, um selbstständig die Familie zu erhalten. Das gesparte Geld ermöglichte im Mai 2025 den Kauf eines Hauses in Wieselburg. Die Familie übersiedelte dorthin und hat nun endlich die Heimat gefunden, in der es Sicherheit gibt.

