Nicht alle Geflüchteten haben es geschafft in Österreich zu bleiben. Vor allem Afghanen wurden nach langen Asylverfahren und intensiven Integrationsbemühungen abgeschoben.
von Shirullah Hussaini
Im Jahr 2015 verließ ich Afghanistan – nicht aus Abenteuerlust, sondern aus Angst um mein Leben. Ich hatte gespürt, dass sich ein unsichtbarer Schatten über mich legte, ein Schatten aus Verfolgung, Drohung und Hoffnungslosigkeit. Ich floh, um zu überleben, und erreichte schließlich Österreich – die Stadt Salzburg, genauer gesagt Oberalm, wo meine zweite Geburt begann.
Dort begann mein neues Leben zwischen Unsicherheit und Hoffnung. Ich lernte viele Österreicher:innen kennen – Menschen voller Güte, Bildung und Menschlichkeit. Sie halfen mir, in einer Sprache zu denken, die nicht meine eigene war, aber bald zur Sprache meiner Seele wurde. Ich besuchte die Sprachschule des WIFI Salzburg und bestand erfolgreich das Niveau C1. Jedes neue Wort, das ich lernte, war ein Schritt aus der Dunkelheit. Nach dem Abschluss nahm mich das Abendgymnasium Salzburg auf. Ich erinnere mich an die Lichter in den Klassenzimmern, an die Stimmen der Lehrer:innen, an den Geruch von Hoffnung in jedem neuen Buch. Viele meiner Freund:innen und Lehrer:innen möchte ich hier nicht namentlich erwähnen, doch in meinem Herzen tragen sie alle Namen aus Licht.
Dann kam die Zeit der Entscheidung.
Ich stellte einen Asylantrag – doch mein Antrag wurde abgelehnt, einmal, dann ein zweites Mal. Ich wartete, glaubte, hoffte. Mit Hilfe eines österreichischen Anwalts ging ich schließlich vor den Obersten Gerichtshof. Dort wurde beschlossen, dass ich nicht abgeschoben werden dürfe – dass ich unter Schutz stünde. Für einen Augenblick fühlte ich mich wieder als Mensch. Doch das politische Klima änderte sich. Rechtspopulistische Parteien unter der Führung von Hofer und Kickl gewannen an Macht, und mit ihnen kam die Kälte zurück. Gesetze wurden zu Waffen, und Mitgefühl zu Schwäche erklärt. Trotz des richterlichen Schutzbeschlusses, trotz der Petition, die mehr als 500 Menschen für mich unterschrieben hatten – Freund:innen, Lehrer:innen, Nachbar:innen, die an Gerechtigkeit glaubten – wurde ich eines Morgens von der Polizei abgeholt. Ohne Vorwarnung, ohne Menschlichkeit. Ich wurde in ein Charterflugzeug gesetzt, gemeinsam mit anderen, die nur das Gleiche wollten wie ich: ein Leben in Frieden.
Zwischen Angst und Staub
Als das Flugzeug in Afghanistan landete, wurde die Stille in meinem Inneren laut. Ich sah das Land meiner Kindheit, doch es war nicht mehr mein Land. Es war ein Ort, den ich nur noch im Traum ertragen konnte. Ich blieb nicht lange. Ich floh erneut, diesmal in den Iran. Aber auch dort begann bald eine Welle der Massendeportationen, und ich fand mich wieder an dem Ort, an dem alles begann – in Afghanistan, zwischen Angst und Staub, zwischen Erinnerung und Leere. Heute lebe ich im Schatten all dieser Wege. Ich habe vieles verloren – meine Heimat, meine Ruhe, meine Sicherheit. Aber eines bleibt: die Sprache, die ich in Österreich gelernt habe. Sie ist mein letzter Besitz, mein Schutz, mein Flügel. Wenn ich schreibe, atme ich wieder frei. Dann bin ich nicht mehr der Abgeschobene, nicht mehr der Flüchtling, sondern einfach ein Mensch, der glaubt, dass Worte stärker sind als Grenzen. Und solange ich schreibe, bin ich noch nicht verloren.
Nachwort, ein stiller Dank und eine leise Bitte.
Manchmal, wenn ich spät in der Nacht auf Deutsch schreibe, bin ich selbst überrascht, wie weit ich gekommen bin. Diese Sprache, die einst so fremd und schwer war, ist nun mein Zuhause geworden – ein Zuhause aus Wörtern, Klang und Gefühl. Wenn Menschen meine Texte lesen und sagen, sie könnten kaum glauben, dass ein Geflüchteter sie geschrieben hat, dann erfüllt mich das mit stiller Freude, nicht aus Stolz, sondern aus Dankbarkeit. Doch das Leben, das Schreiben, das Hoffen, all das braucht auch Raum. Ich kämpfe noch immer mit den einfachsten Dingen: ein Dach über dem Kopf, die Miete, die ich bezahlen muss, die Sorge, wie ich den nächsten Monat überstehen soll. Ich schäme mich nicht, das zu sagen, denn es ist kein Betteln, sondern ein Zeichen meiner Ehrlichkeit. Ich bin ein Mensch, der weiterlernen, weiterarbeiten, weiterträumen will. Mein größter Wunsch ist es, eines Tages Germanistik zu studieren, nicht nur, um ein Diplom zu haben, sondern um die Tiefe dieser Sprache ganz zu begreifen, um sie zu lehren, zu pflegen und mit ihr Brücken zu bauen zwischen Menschen, Völkern und Herzen. Ich glaube fest daran, dass jedes Leben, auch das eines Abgeschobenen, eine zweite Chance verdient. Und vielleicht beginnt diese Chance mit einem kleinen Zeichen der Hilfe, mit Vertrauen, mit einem offenen Herzen. Möge Gott allen, die mir auf meinem Weg begegnet sind, ein langes Leben, Gesundheit und inneren Frieden schenken. Und möge auch ich eines Tages wieder dort ankommen, wo mein Herz zu Hause ist – in einem Land, das mich nicht nur duldet, sondern versteht.
Liebe Grüße Aischa Hussaini, Shirullah Hussaini und Mohammad Sadeq Hussaini unser lieber Sohn.

