In Kanada hat man es geschafft, dass die Kinder von zugewanderten Menschen gleiche oder bessere Schulerfolge vorweisen können als Schüler:innen ohne Migrationsbiografie. Da lohnt es sich für Österreich, genauer hinzuschauen – vor allem für den neuen Bildungsminister Christoph Wiederkehr. Was Kanada bei lernen?

Von Michael Mayböck

Bekannt ist, dass es sich bei Kanada um ein mehrsprachiges Land handelt: Politisch pflegt es traditionell seine französisch-englische Zweisprachigkeit. Vorab als Verweis: Es gab und gibt sehr wohl auch politische Instrumentalisierung von Sprache in Kanada. Sprachenpolitik wurde und wird in Kanada regional immer wieder für plumpen Populismus zur gezielten Hierarchisierung von Bevölkerungsgruppen missbraucht.

Aber trotzdem oder möglicherweise auch gerade deswegen spielt das Thema Sprachen im kanadischen Diskurs über Kinder, Jugendliche und Schule keine große Rolle. In Österreich zwar kaum vorstellbar, aber so ein pragmatisch-professioneller Umgang mit dem Thema Sprachen erleichtert nicht nur den ohnehin schon stressigen Schulalltag, sondern führt vor allem auch dazu, dass die Kinder in der Regel sehr schnell und vor allem intrinsisch motiviert die jeweilige Schulsprache erlernen. Es lernt sich wohl tatsächlich effektiver, wenn Schüler:innen nicht von allen möglichen Seiten ununterbrochen hören müssen, dass sie das Problem sind.

Oh Kanada, wie machst du das?

Damit dieses effektive Sprachenlernen möglichst schnell beginnen kann, erfolgt in Kanada zuallererst eine differenzierte Einstufung durch ein Gespräch in der Erstsprache des Kindes. Anhand dieses Gesprächs können sowohl die allgemeine Sprachkompetenz als auch die Kompetenzen in einzelnen Fächern analysiert und eingeordnet werden. Diese kleine, aber feine Maßnahme ermöglicht es den Schulen in Kanada vom ersten Tag an, neue Schüler:innen individuell und professionell zu fördern.

Prinzipiell ist es in Kanada – wie auch in Österreich – nach wie vor bildungspolitischer Konsens, dass die Schüler:innen die nationale Bildungssprache an den jeweiligen Schulen unbedingt und möglichst schnell erlernen müssen. Die Vermittlung der Unterrichtssprache wird in Kanada – anders als in Österreich –selbstbewusst als eine prioritäre Aufgabe der Schule und nicht etwa der Eltern und Familien propagiert. Die Eltern mehrsprachiger Schüler:innen werden sogar dazu motiviert, die familiäre Erstsprache weiter intensiv zu pflegen und zu konsumieren. Denn Eltern können nur dann das bestmögliche Sprachenvorbild sein, wenn sie die Sprache sprechen, die sie am besten beherrschen.

Genau jener kanadische Pragmatismus, der Bildung bei Bildungsexpert:innen und nicht bei Politiker:innen verankert, prägt auch die Ausgestaltung der Sprachförderklassen in Kanada: Diese Sprachförderung funktioniert durch die zu Lernbeginn erarbeiteten Förderpläne sehr effektiv, individuell und zugleich integrativ, ohne die Schüler:innen wiederholt aus dem Klassenverband herauszureißen, wie das in österreichischen Deutschklassen mal mehr und mal weniger Alltagspraxis ist. Die Integration mehrsprachiger Schüler:innen wird in Kanada vom ersten Tag an glaubhaft begleitet und gelingt um einiges entspannter, da die Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen in erster Linie als eine gemeinsame Aufgabe von Schule und Gesellschaft verstanden und kommuniziert wird, und nicht etwa als eine migrantische Bringschuld im Zeichen der Dankbarkeit gegenüber einer autochthonen Aufnahmegesellschaft.

Oh Österreich, was machst du da?

Kanada ist ein Paradebeispiel dafür, wie erfolgreiche Rahmenbedingungen in mehrsprachigen Schulkontexten möglich sind. Und Österreich? Österreich zeigt ganz aktuell leider ein Paradebeispiel dafür, wie man es eben nicht macht. Es ist ein Musterfall für politische Instrumentalisierung von Sprache und Bildung: Die Themen Sprache, Schule und nationaler Notstand werden politisch unmittelbar miteinander verknüpft. Regionale Herausforderungen in der Bildungspolitik werden zur Argumentationsmasse für den sofortigen und kompromisslosen Stopp von lebensrettenden Familienzusammenführungen. Auf dem Rücken von Schüler:innen und Lehrer:innen wird argumentiert, warum Frauen und Kinder in Kriegsgebieten bleiben müssen, anstatt zu ihren Familien in Sicherheit gebracht zu werden. Ob gewollt oder auch nicht, das Bild ist mehr als schief. Die Benotung fällt leicht: Nicht Genügend. Themenverfehlung!

Michael Mayböck absolvierte das Masterstudium Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, arbeitet für die Volkshilfe Wien und schreibt ehrenamtlich für asyl aktuell.