Seit Dezember 2024 wurden viele syrische Asylberechtigte über die Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung ihres Status informiert. Zusätzlich werden Familienzusammenführungsverfahren und auch Asylanträge von Syrer:innen nicht mehr bearbeitet. Mittlerweile liegt ein Gesetzesentwurf zum Stopp der Familienzusammenführung für alle Schutzsuchenden vor. Eine rechtliche Einordnung

von Linda Greuter

Ursprünglich hätte sich dieser Text ausschließlich auf die Aussetzung der Familienzusammenführungsverfahren zu syrischen Schutzberechtigten fokussieren sollen. Nunmehr ist klar: Die Regierung arbeitet an der Beschränkung des Familiennachzugs zu sämtlichen Asylberechtigten in Österreich.

Kein Recht auf Familienzusammenführung in Österreich: Eine Chronologie

Die „Hemmung“ der Entscheidungspflicht und damit der Bearbeitung von Verfahren soll integraler Bestandteil des Asylsystems in Österreich werden. Der menschenrechtliche Ursprung des Asylrechts wird bei dieser Herangehensweise zur Gänze ignoriert: Das Regierungsprogramm 2025–2029 platziert den gesamten Themenkreis Asyl – weit weg vom Kapitel Menschenrechte – im Kapitel Sicherheit, wodurch es das Asylwesen systematisch der öffentlichen Sicherheit zuordnet. Allein der Titel „Stopp irreguläre Migration und des Missbrauchs des Asylsystems“ impliziert, dass der Missbrauch des Asylsystems die Regel ist, wodurch schutzbedürftige Personen pauschal zu Sicherheitsrisiken stilisiert werden.

Konkrete Initiativen der neuen Bundesregierung ließen nach der Angelobung nicht lange auf sich warten: Das Bundesministerium für Inneres und das Bundeskanzleramt sind am 12. März 2025 an den Ministerrat herangetreten und beantragten die Anpassung nationaler Regelungen, um den Familiennachzug aussetzen zu können. Begründend führte Innenminister Gerhard Karner den hohen Migrationsdruck und die begrenzten Aufnahmekapazitäten in Österreich an, was besonders in Wien zu einer Überlastung des Schulsystems, aber auch des Wohnungs- und des Gesundheitswesens führen würde.

Ein Gesetzesvorschlag für die Beschränkung des Familiennachzugs wurde am 26. März im Nationalrat eingebracht. Sie soll eine Hemmung der Entscheidungspflicht in Verfahren auf Einreise zur Familienzusammenführung möglich machen (§ 35ff AsylG). Dies bedeutet, dass Anträge zwar gestellt werden können, aber nicht mehr bearbeitet werden, solange die Bundesregierung dies per Verordnung zum Schutz der öffentlichen Ordnung notwendig hält. Der Gesetzesentwurf sieht zwar eine zügigere Bearbeitung der Anträge auf Familienzusammenführung vor, wenn die Bearbeitung gemäß Art 8 EMRK zwingend erforderlich ist. Dabei ist aber völlig unklar, welche Kriterien die Notwendigkeit einer früheren Bearbeitung des Antrages verlangen.

Das Recht auf Familienleben als leere Hülle

„Wir werden den Familiennachzug mit sofortiger Wirkung vorübergehend und im Einklang mit Art 8 EMRK stoppen“, lautet das aktuelle Credo der Bundesregierung, das zur Reduktion des Zuzugs von Familienangehörigen von Asylberechtigten nach Österreich führen soll. Wie die Bundesregierung zum Ergebnis gelangt, dass eine Aussetzung in Einklang mit dem Recht auf Familienleben gemäß Art 8 EMRK stünde, ist angesichts der umfassenden und eindeutigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) nicht nachvollziehbar: Die Große Kammer des EGMR hat in einer Entscheidung aus 2021 deutlich dargelegt, dass ein Zugang zu einem Familienzusammenführungsverfahren für schutzbedürftige Personen möglich sein muss, insbesondere dann, wenn Personen aus Gebieten mit prekärer Sicherheitslage stammen. Dabei ist es nicht notwendig, dass die Schutzberechtigten asylberechtigt sind. Auch subsidiär Schutzberechtigten muss ein Zugang zu einem Verfahren möglich sein, in dem die Interessen der Schutzbedürftigen, wie die Familienbindungen oder Vulnerabilitäten, individuell geprüft werden (vgl. EGMR [Große Kammer] 6.7.2021, Nr 6697/18, MA/Dänemark). Besonders wenn die Interessen Minderjähriger involviert sind, hat das Kindeswohl im Mittelpunkt der Abwägung zu stehen.

Art 8 EMRK enthält zwar weder einen Anspruch auf Zusammenführung der Familie, noch gibt der EGMR konkrete inhaltliche Voraussetzungen für die Stattgabe des Familiennachzuges vor. In einem Punkt ist der EGMR allerdings unmissverständlich: Vertragsstaaten müssen einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Antragsteller:innen auf Wahrung des Rechts auf Familienleben und dem öffentlichen Interesse auf Einwanderungskontrolle herstellen. Das Recht auf Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK schützt daher auch Verfahrensrechte, was den Zugang zu einem Verfahren und eine sorgfältige Prüfung der einzelnen Interessen umfasst. Selbst wenn Vertragsstaaten den Familiennachzug für Schutzbedürftige aussetzen, muss eine sorgfältige Prüfung der Interessen zugänglich sein (vgl. EGMR 18.4.2024, Nr 12510/18, Dabo/Schweden). Ein vollständiges Aussetzen von Familienzusammenführungsverfahren kann daher nicht in Einklang mit Art 8 EMRK stehen, wenn Schutzbedürftigen die inhaltliche Prüfung ihrer Interessen verwehrt ist.

Aus unionsrechtlicher Perspektive ist ein Aussetzen von Anträgen auf Familienzusammenführung nicht ohne weiteres möglich. Die EU-Familienzusammenführungsrichtlinie (RL 2003/86) ist die einschlägige Rechtsgrundlage für die Ausgestaltung der Familienzusammenführungsverfahren in den Mitgliedstaaten. Diese Richtlinie blieb durch die GEAS-Reform unberührt. Sie legt die Bedingungen für den Familiennachzug fest, weil die Zusammenführung von Familienmitgliedern die notwendige Voraussetzung dafür ist, dass ein Familienleben gelebt werden kann (ErwG (4) Familienzusammenführungsrichtlinie). Dementsprechend enthält die Richtlinie Kriterien für die inhaltliche Prüfung von Anträgen auf Familienzusammenführung, wobei dem Familienleben von Flüchtlingen eine besondere Bedeutung zukommt, die keine derartigen Restriktionen zulässt (Art 9f Familienzusammenführungsrichtlinie).

Aussetzen von Asylanträgen

Während die Familienzusammenführung breite mediale Aufmerksamkeit erfahren hat, wurde die Praxis der Nichtbearbeitung von Asylanträgen syrischer Personen kaum wahrgenommen.

Das Aussetzen von inhaltlichen Prüfungen der Asylanträge ist nach geltendem Europarecht nicht zulässig: Die noch geltende Asylverfahrensrichtlinie (RL/2013/32) sieht den Zugang zu einer inhaltlichen Prüfung von Asylanträgen vor (Art 10). Auf der Ebene des Asylverfahrensrechts gab es durch die GEAS-Reform eine maßgebliche Änderung in Sachen Verbindlichkeit der Mitgliedstaaten: Die Asylverfahrensverordnung ist bereits in Kraft und gilt ab Juli 2026 ohne Umsetzung durch die österreichische Regierung unmittelbar.

Ein Aussetzen von Asylanträgen innerhalb eines Mitgliedstaates sieht die Verordnung nur dann vor, wenn eine festgelegte Kapazität erreicht ist (Art 47 Asylverfahrensverordnung 2024/1348). Vor Erreichen dieser Kapazität steht der Zugang zu einem effektiven Verfahren im Zentrum. Es soll jeder Person möglich sein, den Sachverhalt bei einer Behörde darlegen zu können und Beweise vorzubringen (ErwG 13f). Antragsteller:innen haben das Recht, einen individuellen Antrag einzureichen und über die Fristen sowie die weiteren Schritte im Verfahren informiert zu werden (Art 8 Abs 2 lit a und b). Grundsätzlich sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Anträge zügig und sorgfältig zu prüfen (Art 34ff) und nicht einfach unbearbeitet liegen zu lassen. Dass die Bearbeitung von neuen Ansuchen auf Schutz von Syrer:innen derzeit vollständig vereitelt wird, widerspricht daher der Asylverfahrensrichtlinie und der neuen Asylverfahrensverordnung.

Die Anwendung der europäischen „Notstandsklausel“ und das Abweichen von EU-Recht

Das Aussetzen von Verfahren auf Familiennachzug und Asylverfahren selbst sind daher Maßnahmen, für die vom geltenden Unionsrecht abgewichen werden muss. Eine Grundlage für eine solche Abweichung bietet die „Notstandsklausel“ in der EU-Verfassung (Art 72 AEUV). Der EuGH hat bereits klargestellt, dass die im Sinne des Art 72 AEUV sehr eng auszulegen ist (z. B. Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn zu C-808/18, Rz 215). Beruft sich Österreich auf die Bestimmung, muss es Nachweise dafür bringen, welche Auswirkungen der Familiennachzug auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat. Besteht ein berechtigtes Interesse an einer Aussetzung, bedeutet das jedoch nicht, dass gewisse Bereiche gänzlich dem Unionsrecht entzogen werden dürfen. Die vorgebrachten Gründe unterliegen einer Kontrolle durch die Unionsorgane. Die unrechtmäßige Anwendung der Notstandsklausel kann bis zu einem Vertragsverletzungsverfahren führen.

Österreich nennt einen wesentlichen Grund für die geplante Abweichung vom EU-Recht, nämlich die Überlastung des Systems, insbesondere des Schulsystems. Nun zählt die Überlastung des Schulsystems für den EuGH einerseits nicht zur öffentlichen Ordnung. Andererseits wurde bis dato kein tauglicher objektiver Nachweis geliefert, der eine solche Überlastung auch belegt: Der ehemalige Bildungsminister Martin Polaschek prognostizierte die Zahl der außerordentlichen Schüler:innen für 2025 in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung vom Juli 2024 als sinkend. Polaschek gestand in diesem Zusammenhang zu, dass sich daraus nicht ergebe, ob es sich bei diesen außerordentlichen Schüler:innen um Personen handelt, die schon länger in Österreich sind oder solche, die durch den Familiennachzug ins Land gekommen sind. Aktuelle Medienberichte kritisierten zudem, dass es keine relevanten Daten zu Vergleichszeiträumen gibt und vorsorglich eingerichtete Containerklassen in Wien derzeit leer stehen. Eine erhöhte Belastung durch den Familiennachzug ist daher nicht durch öffentlich zugängliche Zahlen nachweisbar. Die statistische Erhebung des Innenministeriums bestätigt zudem, dass die Zahlen für die Familienzusammenführungen stark rückläufig sind.

Auch eine schleppende Integration von Personen, die durch die Familienzusammenführung zugezogen sind, ist objektiv nicht belegbar: Zwar verwendeten Kanzler Christian Stocker und Ministerin Claudia Plakolm eine am 23. März 2025 veröffentlichte Studie des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) als unterstützenden Beleg für diese These. Sophie Röttger, eine Autorin dieser Studie, nennt den in der ÖIF-Presseaussendung hergestellten Zusammenhang zwischen Familienzusammenführung und einer schleppenden Integration eine „irreführende Verzerrung“ der Studienergebnisse.

Es ist daher kein öffentliches Interesse erkennbar, das ein so krasses Abweichen vom Unionsrecht rechtfertigen würde. Durch die aktuellen Pläne nimmt die österreichische Regierung dem Unionsrecht seine Wirksamkeit in der Praxis und riskiert ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik.

Einleitung von Aberkennungsverfahren

Eine weitere Maßnahme, die Innenminister Karner unmittelbar nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 ankündigte, setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sofort um: Zahlreiche syrische Asylberechtigte haben seit Dezember ein Informationsschreiben über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens ihres Asylstatus erhalten (i.S.d. § 7 Abs 1 Z 2 AsylG). Dies betrifft nicht nur Asylanträge von Personen, die neu in Österreich angekommen sind. Auch neugeborene Kinder von Asylberechtigten in Österreich sind davon betroffen: Anträge von Neugeborenen auf Durchführung eines Familienverfahrens in Österreich müssen ausgesetzt werden, wenn ein Aberkennungsverfahren gegen ein Elternteil eingeleitet worden ist (vgl. § 34 Abs 2 AsylG). Für asylberechtigte Eltern aus Syrien hat dies derzeit zur Folge, dass sie keine Familienbeihilfe für die neugeborenen Kinder erhalten (vgl. § 3 Abs 4 Familienlastenausgleichsgesetz). Zudem wird der Zugang zum Bezug des Kinderbetreuungsgeldes behindert, weil Eltern keinen Beleg für die Asylberechtigung des Kindes vorlegen können. Dieses Vorgehen versetzte viele asylberechtigte Syrer:innen plötzlich in eine finanzielle Notlage und erzeugt seit Dezember vor allem eines: Existenzängste und erhebliche Verunsicherung unter Syrer:innen.

Asyl ist immer eine Einzelfallentscheidung. Eine Aberkennung des Asylstatus ist nur dann zulässig, wenn eine Veränderung der Situation erheblich und nicht nur vorübergehend ist, was im Kontext der aktuellen Entwicklung der Sicherheitslage in Syrien zu betrachten ist: Thomas Schmidinger hat in asyl aktuell 4/2024 einen wertvollen Kommentar zur Sicherheitslage in Syrien verfasst auf den an dieser Stelle verwiesen werden kann. Seit Redaktionsschluss der letzten Ausgabe hat die Instabilität der Sicherheitslage in Syrien erneut zugenommen. Abgesehen von den anhaltenden akuten individuellen Verfolgungsrisiken für Frauen oder alawitische, christliche oder kurdische Personen eskalieren die Konflikte mit Anhänger:innen der ehemaligen Regierung. Es kommt zur Ermordung von mehreren Zivilist:innen. Obwohl das BFA neue Länderinformation aktuell erst einholt, wurden unzählige Aberkennungsverfahren eingeleitet. Laut Staatendokumentation in anderen Quellen ist die Situation in keiner Weise stabil. Auch UNHCR betont in der Position on Returns to the Syrian Arab Republic vom Dezember 2024, dass derzeit keine ausreichenden Informationen über die Sicherheitslage in Syrien vorliegen, die Einzelfallentscheidungen oder eine Rückkehrprognose zulassen.

Fazit

Syrische Schutzsuchende und Asylberechtigte haben die Restriktionen im Asylbereich zuerst wahrgenommen. Aufgrund der flächendeckenden Einleitungen von Aberkennungsverfahren ist in der syrischen Community daher starke Angst und Verunsicherung bemerkbar, die sich äußerst negativ auf das Vertrauen zu den österreichischen Behörden auswirkt und ihr Gefühl zur Teilhabe in Österreich erschüttert. Besonders bei asylberechtigten Eltern aus Syrien erzeugt das Einleiten von Aberkennungsverfahren eines: Den Verlust von Leistungen für Eltern sowie die Gefahr existentieller Notlagen für ganze Familien und besonders für minderjährige Kinder.

Nachdem die Regierung den Plan zur gänzlichen Aussetzung des Familiennachzugs verlautbart hat, hat sich diese Stimmung der Angst auf sämtliche Schutzsuchende ausgebreitet: Nach dem aktuellen Vorschlag wird Familiennachzug eben nicht im Einklang mit dem Recht auf Familienleben gemäß Art 8 EMRK gestoppt, sondern der Zugang zur Familienzusammenführung systematisch verhindert. Im neuen Entwurf zur Änderung des Asylgesetzes ist eine Denkweise bemerkbar, die Familien als Risiko und Last konstruiert. Das ist höchst problematisch, zumal der Gesetzesentwurf zur Änderung des AsylG schwere Bedenken an seiner Rechtmäßigkeit aufwirft.

Bei der Bearbeitung von Asylanträgen und Familienzusammenführungsverfahren handelt es sich nicht um einen großzügigen Akt Österreichs. Die Bearbeitung dieser Anträge sind rechtliche Pflichten, von denen nur unter engsten Voraussetzungen abgewichen werden darf. Das Asylrecht basiert auf einem Rechtsrahmen zum Schutz fundamentaler Menschenrechte, der über 70 Jahre zurückreicht und zu dessen Einhaltung sich Österreich verpflichtet hat. Es ist daher keine Frage des Wollens, ob die österreichische Regierung die Genfer Flüchtlingskonvention, die EMRK oder das Unionsrecht beachtet, es ist eine Frage des Müssens. Das aktuelle Vorgehen der Bundesregierung ist daher ein Politikum, das unzähligen Familien den Zugang zu ihren verfassungsrechtlichen Garantien und syrischen Schutzsuchenden zusätzlich fundamentale Verfahrensrechte verwehrt.

Linda Greuter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Legal Gender Studies, JKU Linz, wo sie ihre Dissertation zum eigenständigen Aufenthaltsrecht für Betroffene von häuslicher Gewalt verfasst. Von 2014–2020 war sie in der asyl- und migrationsrechtlichen Rechtspraxis bei der Caritas Flüchtlingshilfe, Helping Hands Linz und Equal Rights Beyond Borders in Athen tätig.