Wahrscheinlich ist es nur Insider:innen bekannt, dass in einigen Wiener Pensionist:innenwohnhäusern heute auch Flüchtlinge und Vertriebene leben.

Begonnen hat dieses ungewöhnliche Projekt im Sommer 2015.

Von Herbert Langthaler

An der Grinzinger Allee, wo sich Weingärten mit Villen und Gemeindebauten mischen, liegt der massige Gebäudekomplex des 2012 eröffneten Haus Döbling. In dieser Einrichtung des Fonds Kuratorium Wiener Pensionisten Wohnhäuser – Häusern zum Leben finden sich unter einem Dach neben einem Senior:innenwohnhaus ein stationäres Hospiz, aber auch ungeförderte Senior:innen-Wohnungen und im Erdgeschoß ein Kindergarten.

Warum sich an diesem Abend Anfang Oktober der Speisesaal des Hauses mit Gästen – darunter Stadtrat Peter Hacker und FSW-Chefin Anita Bauer – füllt, liegt an einer Besonderheit dieses Hauses. Hier wohnen auch geflüchtete und vertriebene Personen, die bei ihrem Neuanfang in Österreich unterstützt werden. Gefeiert wird das zehnjährige Jubiläum der Flüchtlingshilfe im Rahmen der Häuser zum Leben, mit Reden, ukrainischem Essen und dem Chor Nadiia (das bedeutet Hoffnung), zu dem sich meist ältere ukrainische Frauen, Bewohner:innen des Hauses Mariahilf zusammengetan haben. Zwar war das Haus Döbling 2015 das erste der Häuser zum Leben, das Geflüchtete aufgenommen hat, aber inzwischen gibt es weitere Standorte, an denen ebenfalls Geflüchtete und Vertriebene betreut werden. Zuletzt wurden im 3. und 15. Bezirk Betreuungsstrukturen mit mobiler Betreuung geschaffen.

Dringender Apell

Aber wie kam es dazu, dass in städtischen Pensionistenwohnhäusern Flüchtlinge leben? 2015 gab es eine Anfrage an gemeindenahe Einrichtungen, ob sie Quartiere für Geflüchtete zur Verfügung stellen können. Die Häuser zum Leben erklärten sich damals bereit, im Haus Döbling nicht benötigte Wohnplätze zur Verfügung zu stellen und eine Betreuung im Rahmen der Grundversorgung aufzubauen. Als die erste Generation einzog, war das von großer Hilfsbereitschaft und Enthusiasmus begleitet. Man nahm zuerst an, dass es sich um eine vorübergehende Lösung handelt. „Es hat dann schon einmal die Fragen gegeben: wie lange denn „vorübergehend“ sein soll“, erzählt Christian Ellensohn,,seit über fünf Jahren Leiter der Flüchtlingshilfe der Häuser zum Leben. Als er anfing, während der Pandemie, sammelten einige der Döblinger Nachbarn Unterschriften gegen das Haus, weil die Immobilienpreise dadurch Schaden nehmen könnten. „Es war ein gewisses Wagnis, damit anzufangen, aber letztendlich war es ein Erfolg“, resümiert er am Tag der Jubiläumsfeier.

In den folgenden Jahren fand eine Phase der Professionalisierung der Flüchtlingsbetreuung und – mit dem Beginn des Ukrainekrieges – ein weiterer Ausbau durch die Nutzung von freien Kapazitäten in weiteren Häusern statt. Mit der ersten Generation gab es viel Schwung, so dass auch angedacht wurde, die Familien, die Asyl bekommen hatten, weiter zu unterstützen. „Wir haben sehr viel Potential im Unternehmen“, beschreibt Ellensohn die damaligen Überlegungen. Mit 30 Häusern und rund 5.000 Mitarbeiter:innen ist einiges möglich. Also wurde mit der Wohnungslosenhilfe im Haus Penzing ein Projekt für zwölf asylberechtigte Familien gestartet. Da neben Wohnen auch Arbeiten ein ganz wichtiger Aspekt erfolgreicher Integration ist, wurde 2020 vom Bereich Gastronomisches Management ein Arbeitsintegrationsprojekt gestartet und 2024 um Lehrstellen für Erwachsene erweitert. Ellensohn fasst die Idee zusammen: „Die Menschen betreuen vom Tag eins, vom Asylantrag und der Grundversorgung weiter zur Selbstständigkeit mit eigener Wohnung und Job.“

Steigender Altersdurchschnitt

Heute sind die meisten der Bewohner:innen Vertriebene aus der Ukraine, wobei die Jüngeren unter ihnen es relativ schnell schaffen, auf eigene Beine zu kommen. Jedoch gibt es auch eine größere Gruppe von Menschen mit besonderen Bedarfen, die dann wesentlich länger bleiben. Insgesamt ist, so Ellensohn, ein Anstieg des Altersdurchschnitts zu beobachten. „Wir haben viele Zuweisungen von Pflegebedürftigen, weil die Häuser barrierefrei sind und wir die Möglichkeit der Selbstversorgung bieten können.“ In der Regel müssen die Angehörigen die Pflege übernehmen. Manchmal kann dann auch ab der Pflegegeldstufe 4 ein direkter Übergang in eine Pflegestation funktionieren, wenn zum Beispiel von einer Drei-Generationen-Familie die Oma pflegebedürftig wird und im Haus bleibt, während die Jungen ausziehen.

Wie funktioniert das Zusammenleben von zwei Zielgruppen mit verschiedenen Bedürfnissen? Im Prinzip gut, auch wenn es manchmal Skepsis gibt. „Wir haben immer den Bewohner:innenbeirat zuerst informiert und dann Kennenlernveranstaltungen ausgerichtet. Es braucht viel Kommunikation, aber vieles wird leichter, wenn man sich kennenlernen kann“. Und dann ist es meistens kein Nebeneinander, sondern ein Miteinander, weil, wie es eine Bewohnerin noch während der Pandemie ausdrückte: „Es ist so schön, weil mehr Leben ins Haus kommt“.