Immer schwieriger wird das Leben für Vertriebene aus der Ukraine in Österreich. Der drohende Wegfall der Familienbeihilfe sorgt für zunehmende Ängste. Wir haben uns unter Betroffenen umgehört.
Von Eva Reithofer-Haidacher
Liliia Dobrieva lebt seit ihrer Flucht aus der Region Odessa mit ihrem Mann und den drei Kindern in einem kleinen Ort im steirischen Bezirk Voitsberg. Ihr Mann arbeitet Teilzeit in einer Autowerkstatt, die Wohnung stellt das Land Steiermark im Rahmen der Grundversorgung zur Verfügung. Es ist ein bescheidenes Leben, aber es geht sich irgendwie aus. Die Nachricht, dass die Familienbeihilfe im Herbst gestrichen oder an ihre „Arbeitswilligkeit“ gekoppelt wird, erfüllt die 40-Jährige mit Sorge. Ihr jüngster Sohn wird erst im September drei Jahre alt, daher bekommt er in der Gemeinde keinen Kindergartenplatz. Liliia Dobrieva kann also derzeit noch keinen Job annehmen. „Ohne Familienbeihilfe werden wir künftig € 450,- weniger im Monat haben. Das ist ein spürbarer Verlust. Davon bezahlen wir jetzt die Nachmittagsbetreuung für unsere Tochter, Schulausflüge, Schulsachen, Kleidung und Schuhe für die Kinder. Die Familienbeihilfe hilft uns, über die Runden zu kommen“, so die Ukrainerin.
Einbußen und Kostensteigerungen
Derzeit wird das Kinderbetreuungsgeld für knapp 1.000 aus der Ukraine vertriebene Kinder ausbezahlt, Familienbeihilfe erhalten rund 16.000 Kinder von etwas mehr als 10.000 anspruchsberechtigten Eltern. Je nach Alter des Kindes beträgt die Familienbeihilfe in Österreich zwischen rund € 140,- und € 200,-. An ihrem Bezug hängen allerdings andere Unterstützungsleistungen wie das Kinderbetreuungsgeld, die erhöhte Familienbeihilfe für Kinder mit Behinderungen, der Alleinerzieher- sowie Alleinverdienerabsetzbetrag, Schulunterstützungen wie Schulfahrtbeihilfe und Schulstartgeld und mehr. In Summe müssen Eltern mit Vertriebenenstatus also weit höhere Einbußen hinnehmen.
Aber auch die Grundversorgungsstellen haben mit einem höheren administrativen Aufwand und mit zusätzlichen Kosten zu rechnen. Das Kinderbetreuungsgeld etwa wird derzeit auf die Leistungen der Grundversorgung voll angerechnet. Fällt es weg, muss der Bezug neu erhoben werden. Auch ist davon auszugehen, dass Vertriebene beim Entfall der Familienbeihilfe in organisierte Quartiere ziehen, die höhere Kosten als private verursachen.
Auf Jobsuche
Noch ist politisch nicht entschieden, wie es mit der Familienbeihilfe für aus der Ukraine Vertriebene weitergeht. Fix ist, dass nach der Novelle des Familienlastenausgleichsgesetzes vom März 2025 der Anspruch auf Familienbeihilfe für Menschen mit Vertriebenenstatus mit 31. Oktober 2025 endet. Die zuständige Ministerin Claudia Plakolm hat in einem Interview mit der Kronenzeitung Mitte Juni gemeint, dass „wir bei Sozialleistungen gezielter vorgehen müssen: Für Ukrainerinnen und Ukrainer bedeutet das, dass es in Zukunft diese Sozialleistungen nur dann geben wird, wenn sie auch arbeiten oder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.“
Schwer verständlich für Kateryna Muzychuk, die in Wien lebt: „Mit oder ohne Familienbeihilfe habe ich große Motivation Arbeit zu finden und meinen Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen.“ Wie der Großteil der Vertriebenen ist sie Alleinerzieherin und wohnt privat. Ihre Kinder sind sechs und 15 Jahre alt, eines davon hat eine Behinderung. Sollte die, für das behinderte Kind erhöhte, Familienbeihilfe wegfallen, sieht Kateryna Muzychuk schwarz für ihre Zukunft: „Ohne dieses Geld ist es schlichtweg unmöglich für mich in Wien zu leben. Allein die Miete und die Kosten für die zusätzlichen Medikamente für meinen Sohn sind so hoch.“ In der Ukraine hat sie als Juristin gearbeitet und versucht schon einige Zeit, in Österreich einen Job zu finden. „Es ist ein seltsamer Gedanke, dass die Abschaffung der Familienbeihilfe meine Motivation zu arbeiten steigern soll“, sagt sie.
Seit vier Monaten auf Arbeitssuche ist auch Nataliia Savchuk – und hat bisher nur Absagen bekommen. Sie hat drei Kinder im Alter von neun, zwölf und 16 Jahren. Seit sie erfahren hat, dass die Familienbeihilfe gestrichen oder an die Annahme eines Jobs gebunden wird, ist Nataliia Savchuk psychisch am Ende. „Das Geld aus der Grundversorgung reicht maximal für Essen. Für Schulgebühren, Kleidung und verschiedene Aktivitäten bleibt jetzt schon kaum mehr etwas. Ich befürchte, dass ich und meine Kinder jetzt dauernd hungrig sein werden. Da ich sie alleine erziehe, werde ich gezwungen sein, ständig nach Möglichkeiten zu suchen, günstiges Essen, Kleidung und Schuhe zu finden. Das kostet sehr viel Zeit und mir wird keine Zeit mehr für die Jobsuche bleiben.“
Immer neue Belastungen
Die belastende Situation für Vertriebene in der Grundversorgung verschärft sich stetig. Im November letzten Jahres haben sich Bund und Länder auf neue Regeln für die Bewertung von Einkommen und Vermögen geeinigt. Seit 1. Jänner 2025 gilt: Pensionen und Alimente aus der Ukraine werden ohne Freibetrag zur Gänze als Einkommen gewertet. Wer ein Auto besitzt oder nutzt, verliert den Anspruch auf Grundversorgung. Außer Acht gelassen wird dabei, dass vielen die Flucht aus der Ukraine nur im eigenen PKW gelungen ist. Dieses Auto muss nun verkauft und abgemeldet werden, der Erlös wird bald verbraucht sein. Erst dann kann die betroffene Person wieder in die Grundversorgung aufgenommen werden.
Die Situation verschlechtert sich weiter, wenn – wie in der Steiermark – ab Jahresende die Sachleistungskarte (Bezahlkarte) auch für Vertriebene eingeführt wird. Begründet wird das von der steirischen Landesregierung damit, „die Grüne Mark als Asylland unattraktiver zu machen“. Die Verantwortlichen nehmen dafür einen hohen Preis in Kauf: Geschätzte € 450.000,- kostet die Einführung – und das für derzeit 7.500 Personen, davon 6.000 Vertriebene. Auch eine „Entlastung der steirischen Landesbehörden“ erwarten sie. Das wird weitgehend bezweifelt. Denn Tests in anderen Bundesländern haben ergeben, dass der Verwaltungsaufwand steige, so Georg Eichberger, Abteilungsleiter Asyl & Integration der Caritas Steiermark in einem ORF-Interview.
Sozialmärkte ausgenommen
Mit der Sachleistungskarte können Menschen in der steirischen Grundversorgung nur mehr € 40,- Taschengeld pro Monat bar beheben. Die € 155,-, die Personen in Quartieren mit Teilselbstversorgung als Verpflegungsgeld erhalten, können lediglich in bestimmten Geschäften eingelöst werden. Explizit ausgenommen sind unter anderem Sozialmärkte.
Familie Honcharov hat eine traumatisierende Reise aus Donezk, das zum größten Teil von Russland besetzt ist, hinter sich. Vor zehn Monaten sind sie in Österreich angekommen und leben nun in der beschaulichen Gemeinde Gratkorn unweit von Graz. Die Eltern zweier Schulkinder besuchen derzeit einen A2-Deutschkurs. „Wir müssen noch Deutsch lernen, um später eine Arbeit zu finden“, erklärt Valentyna Honcharova. Der drohende Wegfall der Familienbeihilfe und die Einführung der Sachleistungskarte sind für Familie Honcharov existenzbedrohend. „Wir müssen Schulsachen für unsere Kinder kaufen, in der Schule muss man für Hefte, Bücher und Ausflüge Geld einzahlen. Unsere Kinder brauchen orthopädische Schuhe und Brillen, ein Busticket“, so Valentyna Honcharova. Bisher hätten sie oft Lebensmittel im Vinzimarkt eingekauft, um über die Runden zu kommen. Das sei mit der geplanten Karte nicht mehr möglich. „Wenn wir die Familienbeihilfe nicht mehr bekommen, ist das das Ende eines halbwegs normalen Lebens.“
Mitarbeit: Hannah Greimel, Karoline Janicek, Yuliya Nyestyerova
Fotos: Kateryna Mechkan
Kateryna Mechkan ist im März 2022 mit ihrem Sohn aus der ukrainischen Stadt Dnipro nach Graz geflüchtet und hat sich kürzlich als Kinder- und Jugendfotografin selbständig gemacht. www.fotomechkan.at

