Im April 2023 stürzte eine Welle der Gewalt den Sudan in eine der schwersten humanitären Krisen unserer Zeit. Binnen weniger Monate wurden mehr als 12 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben – also drei Millionen Menschen mehr, als ganz Österreich Einwohner zählt.
Von Mathis Wichmann
Der anhaltende Krieg zerstört wichtige Infrastruktur sowie Handels- und Versorgungssysteme. Fast die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung, also mehr als 24 Millionen Menschen, ist von akuter Ernährungsunsicherheit bedroht. Hunderttausende leiden bereits unter katastrophalem Hunger. In Regionen wie Darfur, insbesondere in und um El Fasher, kommt es zu Belagerungen, bei denen Zivilist:innen vollständig von humanitärer Hilfe abgeschnitten sind. Dieses Problem zeichnet den Krieg besonders aus. Hilfsorganisationen stoßen auf enorme Schwierigkeiten, überhaupt zu den Bedürftigsten vorzudringen.
Mit dem Zusammenbruch der grundlegenden Wasser- und Abwasserversorgung sowie dem Versagen des Gesundheitssystems steigt das Risiko für Krankheitsausbrüche massiv an. Besonders alarmierend ist die schnelle Ausbreitung der Cholera, die vor allem Kinder stark gefährdet.
Der Machtkampf zwischen rivalisierenden Militärfraktionen ist zum Albtraum für die Zivilbevölkerung geworden. Immer wieder kommt es zu Massakern, bei denen auch humanitäre Helfer:innen angegriffen werden. Zugleich häufen sich Berichte über systematische Gewalt: Folter, Plünderungen, sexuelle Gewalt und die gezielte Zerstörung ziviler Infrastruktur, darunter Krankenhäuser und Schulen, gehören zur erschütternden Realität.
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Viele Menschen fliehen daher weiterhin in weniger umkämpfte Landesteile, andere suchen in den Nachbarländern Sicherheit. Ägypten, der Südsudan und der Tschad nehmen den Großteil dieser Flüchtlinge auf – obwohl sie selbst vor enormen Herausforderungen stehen.
Südsudan, Aufnahmeland in der Krise
Als Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) habe ich im Südsudan gesehen, wie schwierig die Lage nicht nur für Flüchtlinge ist, sondern auch für die Gemeinden, die sie aufnehmen. Trotz eigener Not zeigen Viele große Solidarität und fühlen sich mit den Menschen aus dem Norden verbunden, auch wenn frühere Konflikte tiefe Spuren hinterlassen haben.
Der Südsudan spaltete sich 2011 nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen vom Sudan ab und wurde damit zum jüngsten Staat der Welt. Doch statt Frieden folgte ein Bürgerkrieg, von dem sich das Land nur sehr langsam erholt. Viele Südsudanes:innen flohen damals in den Sudan. Angesichts der aktuellen Eskalation kehren sie notgedrungen in ihre alte Heimat und in eine ungewisse Zukunft zurück.
In den überfüllten Camps fehlt es am Nötigsten
Der Südsudan spaltete sich 2011 nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen vom Sudan ab und wurde damit zum jüngsten Staat der Welt. Doch statt Frieden folgte ein Bürgerkrieg, von dem sich das Land nur sehr langsam erholt. Viele Südsudanes:innen flohen damals in den Sudan. Angesichts der aktuellen Eskalation kehren sie notgedrungen in ihre alte Heimat und in eine ungewisse Zukunft zurück.
In den Camps, in denen UNHCR aktiv ist und in denen ich selbst einige Zeit verbracht habe, leben sudanesische Flüchtlinge und südsudanesische Rückkehrer:innen Tür an Tür – oder besser gesagt: Zelt an Zelt.
Die Camps sind überfüllt und selbst das Nötigste fehlt oft: sauberes Wasser, ausreichend Nahrung und Medizin. Unsere Teams tun ihr Bestes, um zu helfen, doch die Gelder reichen bei weitem nicht aus, um die vielen ankommenden Menschen angemessen zu versorgen.
Der Südsudan verfügt selbst nur über extrem begrenzte Ressourcen, denn er gilt als eines der ärmsten Länder der Welt. Trotzdem hat das Land über eine Million Menschen aufgenommen, die vor dem Konflikt im Sudan geflohen sind.
Viele der Flüchtlinge haben Traumatisches erlebt und sind völlig verzweifelt. Ein Mädchen erzählte mir, wie ihr Vater während der Flucht getötet wurde. Andere berichteten, dass sie seit Tagen nichts zu essen hatten. Häufig tragen sie die Narben eines Lebens, das von ständiger Vertreibung geprägt ist. Wie Ibrahim, der mir das Flüchtlingscamp Gorom nahe der Hauptstadt Juba zeigte, in dem er Zuflucht fand.
Aufgewachsen ist er in Darfur, im Westen des Sudan. Auch dort lebte er in einem Camp für Vertriebene. Die Region, die vor über 20 Jahren schon einmal Schauplatz entsetzlicher Gewalt war, gilt heute erneut als Sinnbild für Leid und Grausamkeit. Zuletzt wurden dort im April 2025 bei einem Angriff auf die Vertriebenencamps Zamzam und Abu Shouk über 500 Menschen getötet.
Auch Ibrahim erzählte mir von der Gewalt in seiner Heimat. Das Camp, in dem er aufgewachsen ist, wurde im Jahr 2023 ebenfalls angegriffen. Als ich ihn fragte, woher er wusste, was in diesem Moment zu tun war und wie er entschieden habe, wohin er fliehen sollte, sagte er: „Man hat keine Zeit, lange nachzudenken – man muss einfach weg, egal wohin.”
Gewalt, Klimawandel und Vertreibung treffen aufeinander
Ibrahim gehört zu den über drei Millionen Flüchtlingen, die dem Krieg entkommen sind. Rechnet man jene hinzu, die innerhalb des Landes vertrieben wurden, wird das ganze Ausmaß deutlich: Der Konflikt im Sudan hat die größte Vertreibungskrise der Welt ausgelöst – mehr noch als die Kriege in Syrien oder der Ukraine. Doch die Welt hat andere Prioritäten, so scheint es. Dabei treffen in Ostafrika gleich mehrere Krisen aufeinander – sie verstärken sich gegenseitig und breiten sich zunehmend aus.
Die Region gilt als großer Klimaverlierer. Länder wie der Tschad, Äthiopien oder der Südsudan haben kaum zur globalen Erderwärmung beigetragen, doch sie spüren die Folgen umso härter. Extremwetter wie Dürren vernichten Ernten, lassen das Vieh sterben und verschärfen Konflikte um Wasser und Weideland. Gleichzeitig zerstören Überflutungen und Starkregen die ohnehin fragile Infrastruktur und reißen ganze Dörfer mit sich.
Entwicklungsfortschritte werden zunichte gemacht – und es überrascht kaum, dass inmitten dieser Bedingungen auch Krieg, Gewalt und Vertreibung weiter zunehmen.
Im Südsudan wird Krisendichte sichtbar
Als ich mit einer Propellermaschine der Vereinten Nationen von der Hauptstadt Juba in den Norden nach Malakal flog, machten wir mehrere Zwischenlandungen – meist auf staubigen, rot gefärbten Aschepisten, die kaum als Flughäfen bezeichnet werden können.
Einer der Stopps war in Bentiu, wo der Klimawandel längst kein Zukunftsszenario mehr ist, sondern ein realer Existenzkampf. Der Anblick aus dem Flugzeug war atemberaubend und erschütternd zugleich: Weite Flächen, die einst trockene Savanne waren, stehen heute vollständig unter Wasser.
Zwischen dem endlosen Grau-Blau des Wassers ragen schmale, von Deichen gesicherte Landstreifen hervor. Darauf stehen provisorische Zeltlager, in denen die ehemaligen Bewohner:innen nun leben. Bentiu ist einer der ersten Orte weltweit, an dem Menschen dauerhaft aufgrund der Folgen des Klimawandels in Vertreibung leben. Ein Ort, der wie eine unwirkliche Dystopie wirkt und doch ganz real existiert.
Weiter nördlich liegt der Bundesstaat Upper Nile, an der Grenze zum Sudan. Die Hauptstadt Malakal gehört zu den am stärksten vom Bürgerkrieg gezeichneten Städten des Landes. Große Teile sind bis heute zerstört. Trotzdem ist Malakal ein zentraler Anlaufpunkt für Flüchtlinge und Rückkehrer:innen aus dem Sudan. Viele Menschen erreichen die Stadt mit Booten über den Weißen Nil. Für die Rückkehrer:innen ist Malakal eine Zwischenstation auf dem Weg in ihre alten Heimatdörfer. Doch oft wissen sie nicht, was sie dort erwartet – ob ihre Häuser noch stehen oder ob es überhaupt noch eine Gemeinde gibt, zu der sie zurückkehren können.
Neben Flüchtlingen und Rückkehrer:innen leben zehntausende Binnenvertriebene in Camps in und um Malakal. Sie flohen während des Bürgerkriegs aus ihren Häusern und harren seither – oft nur wenige Kilometer von ihren alten Nachbarschaften entfernt – in Vertriebenencamps aus. Blauhelmsoldaten, die in der Nähe stationiert sind, bieten Schutz, während Hilfsorganisationen das Überleben ermöglichen. Aus Angst vor erneuter Gewalt und ethnischen Spannungen wagen Viele nicht die Rückkehr in ihre früheren Viertel.
Humanitäre Hilfe unverzichtbar
Doch Hilfsorganisationen stehen derzeit vor schwierigen Entscheidungen. So musste UNHCR in Ägypten seine Hilfsprogramme trotz großer Not um die Hälfte kürzen.
Im Südsudan wurden etwa drei Viertel aller Schutzhäuser geschlossen. Betroffen sind rund 80.000 Frauen und Mädchen, die Gewalt, oft sexualisierte Gewalt, erlebt haben. Sie erhalten nun keine medizinische, psychologische oder rechtliche Unterstützung mehr.
Außerdem droht die Schließung von zwei Krankenhäusern und elf Gesundheitseinrichtungen, die mehr als 370.000 Flüchtlinge und Rückkehrer:innen mit lebenswichtigen Leistungen wie Impfungen, der Behandlung von Mangelernährung, Geburts- und Notfallmedizin versorgen.
Im Tschad fehlen Gelder, um Neuankömmlinge aus dem Sudan ausreichend zu unterstützen. In der Grenzstadt Adré, die vor dem Krieg etwa 40.000 Einwohner hatte, sind mittlerweile über 230.000 Flüchtlinge untergekommen. Viele leben in provisorischen Camps, in Zelten oder sogar unter freiem Himmel. Die Gesundheitsversorgung ist stark überlastet. Auf einen Arzt kommen etwa 25.000 Menschen. Ohne weitere Finanzierung kann UNHCR keine Umsiedlung in formelle Camps mit besseren Lebensbedingungen ermöglichen.
Hinzu kommt, dass 8.500 vertriebene Kinder im Tschad aktuell keinen Zugang zu Bildung haben. Sollten die Kürzungen bis 2026 andauern, könnten über 155.000 geflüchtete Kinder ohne Schulbildung bleiben – und wären damit besonders anfällig für Ausbeutung und Missbrauch.
In vielen Krisenregionen weltweit sieht die Lage ähnlich dramatisch aus. Gerade angesichts der zahlreichen Krisenherde, wie in Ostafrika, sind humanitäre Hilfe und langfristig wirkende Entwicklungszusammenarbeit unverzichtbar. Sie lindern Leid, retten Leben und tragen zur Stabilisierung ganzer Regionen bei.
Man will sich nicht vorstellen, was geschieht, wenn diese Hilfe weiter zurückgeht: Hunger, Verzweiflung, wachsende Instabilität – und letztlich werden sich vermutlich noch mehr Menschen auf den Weg machen, in der Hoffnung auf Sicherheit und Perspektiven für sich und ihre Familien.
Nur 13 Prozent der weltweiten humanitäre Hilfe finanziert
Ein alarmierender Wert. Gleichzeitig übersteigen die globalen Militärausgaben das benötigte Budget für humanitäre Hilfe um das Hundertfache.
Schon ein Bruchteil dieser Ausgaben – gerade einmal ein Prozent – würde ausreichen, um Millionen notleidenden Menschen weltweit zur Seite zu stehen und sie nicht ihrem Schicksal zu überlassen. Hilfsorganisationen könnten ihnen damit Schutz, Nahrung, medizinische Versorgung und Notunterkünfte bieten.
Dabei geht es nicht nur um Mitmenschlichkeit, sondern auch um globale Verantwortung. Humanitäre Hilfe ist ein aktiver Beitrag zu Frieden und Stabilität – sie wirkt damit weit über Krisengebiete hinaus und kommt letztlich uns allen zugute.

