Man müsse Geflüchtete nur in Deutschkurse schicken, dann funktioniere der Spracherwerb garantiert. Hier gleichen Politiker:innen den Schildbürgern, die sich einst einreden ließen, dass man durch den Nürnberger Trichter direkt Klugheit aufnehmen könne. Die Realität ist – wie so oft – komplexer.

Von Andrea Jantschko

„Sie müssen einen Deutschkurs machen, ich verstehe Sie nicht!“, „Jetzt gehen Sie schon ein halbes Jahr in einen Deutschkurs und können nicht Deutsch reden?“, „Haben Sie nicht im Deutschkurs gelernt, dass bei uns …“,   „Wenn diese Leute etwas von unserem Land wollen, dann müssen sie unsere Sprache sprechen. Also müssen sie einen Deutschkurs besuchen.“,  und so weiter.

Der Grundgedanke, der solchen Aussagen zugrunde liegt, ist wohl: Der Besuch eines Deutschkurses führt dazu, dass die:der Zuwander:in integriert ist. Aber ist es wirklich so? Wird hier nicht ein sehr einfaches Schema auf einen komplizierten Zusammenhang zwischen Individuum und Gesellschaft angewendet?

Wir haben sowohl Migrant:innen als auch Beschäftigte bei Kursanbietern zu ihren diesbezüglichen Erfahrungen befragt. Herr M.M., ein junger Mann aus Afghanistan, der 2008 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Österreich gekommen ist, berichtet: „Insgesamt hat es zwei bis drei Jahre gedauert, bis ich sehr gut Deutsch konnte. Geholfen hat mir, dass ich eine Zeitlang bei einer österreichischen Familie gewohnt habe.“ Und weiter: „Ein Deutschkurs allein bringt gar nichts. Man muss die Sprache anwenden, nur im täglichen Kontakt mit deutschsprachigen Menschen kann man die Sprache lernen.“ Das bestätigt Frau M.M. aus dem Iran, „aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Sprechen ist das Wichtigste – auch wenn man Fehler macht und es manchmal Missverständnisse gibt“. Immerhin hat sie es geschafft, sich als Künstlerin in Österreich zu etablieren.

Gerade der dringend nötige Kontakt fehlt jedoch den meisten Migrant:innen. Als Trainerin für Deutsch als Fremdsprache höre ich immer wieder von meinen Kursteilnehmer:innen: „ ‚Mit dir kann ich ja Deutsch reden, dich verstehe ich und du hörst mir zu, aber sonst habe ich niemanden.‘, ‚Ich habe keinen privaten Kontakt mit Österreicher:innen.‘ und so weiter. Auch meine Kolleg:innen berichten oft über solche Statements. Ob ein Mensch sich fremd oder integriert fühlt, wird sehr von der persönlichen Belastbarkeit und Resilienz bestimmt sowie von Erlebnissen in der Vergangenheit und der Art ihrer Bewältigung. Es hat aber auch viel zu tun mit der Art des Miteinanders in dem kleinen, begrenzten Umfeld, in dem sich die zugewanderte Person bewegt: in der Nachbarschaft, in öffentlichen Einrichtungen, am Arbeitsplatz, bei anderen Eltern schulpflichtiger Kinder usw. Wer dort Akzeptanz erlebt, auf interessierte Menschen stößt, mit Offenheit aufgenommen wird, hat es nicht nur bei der Bewältigung der finanziellen, behördlichen und sonstiger Hürden wesentlich leichter, sondern erwirbt auch angstfrei und ‚wie nebenher‘ die ungewohnte Fremdsprache.“

Eintauchen in eine neue Sprache

Bei der Forderung nach Deutschkursen wird auch oft übersehen, dass Lernen ein lebenslanger Prozess ist, der nur zu einem kleinen Anteil in einer Schule, Universität oder Kursräumen stattfindet. Das bewusste, inszenierte Lernen in Form eines Kursbesuchs ist nur eine von vielen Möglichkeiten, etwas Neues zu lernen. Gerade der Erwerb einer Fremdsprache ist eng mit dem Leben außerhalb des Kurses verknüpft. Wie viele von uns haben es schon erlebt: Wir interessieren uns für eine bestimmte Sprache und Kultur, besuchen Kurse oder Vorlesungen dazu – und spätestens ein Jahr danach haben wir fast alles wieder vergessen. Wir scheitern, wenn wir keine Möglichkeit haben unser Wissen anzuwenden, zu erweitern, an der Realität zu aktualisieren, einzutauchen in die neue Zielsprache und -kultur.

„Es gibt heutzutage viele Möglichkeiten, Deutsch zu lernen, zum Beispiel online“, weiß Frau R. aus eigener Erfahrung. Sie ist 2022 aus der Ukraine gekommen und hat inzwischen die B1-Prüfung bestanden: „Man kann auch in ein Gasthaus gehen und dort Steirisch lernen. Mir hat ein Praktikum geholfen, meine Deutschkenntnisse zu verbessern.“ Frau M.M. erzählt, dass sie anfänglich noch manchmal auf Englisch ausgewichen ist, denn „das war immer meine Rettung. Aber wenn man hier wirklich ankommen und ein Leben aufbauen will, muss man sprechen. Oft war es unangenehm, und ich habe mich für mein Deutsch geschämt, aber Perfektionismus bringt einen nicht weiter“. Beide Frauen hatten schon vor der Migration ein hohes Bildungsniveau und dadurch einen Startvorteil. Jenen Migrant:innen, die als Kind kaum Schulbildung genossen haben und auch nicht auf Englischkenntnisse zurückgreifen können, stehen die Wege nicht zur Verfügung, mit denen sich gebildetere Menschen nach und nach ihre Akzeptanz erkämpfen.

Für eine intensive Beschäftigung mit der österreichischen Kultur fehlt es den meisten Zuwander:innen an Zeit, Kraft und Geld. Die Lebensumstände erschweren den Fremdsprachenerwerb. Wer sich gleichzeitig um finanzielle Absicherung, Schulpflicht der Kinder, Verbesserung der Wohnverhältnisse usw. kümmern muss, kann sich schwer aufs Sprachelernen konzentrieren. Gemeinsame Aktivitäten mit Menschen außerhalb der eigenen Community ergeben sich im Alltag nur selten.

Konzepte liegen lange am Tisch

Seit vielen Jahren melden sich Expert:innen zu diesen Themen zu Wort und werden immer wieder überhört bzw. ihre Anliegen nicht beachtet. Das Netzwerk Sprachenrechte fordert seit mehr als 20 Jahren, dass in den Schulen sowohl muttersprachlicher Unterricht stattfindet, als auch Deutsch innerhalb des Klassenverbandes gelehrt wird. Der separate Unterricht für Kinder und Jugendliche, die Deutsch als Fremdsprache lernen, verhindere Integration und natürliches Lernen. Auf der Website des Netzwerks findet sich auch ein Bericht über ein Urteil des EuGH. Dänische Behörden wollten eine türkischstämmige Frau, die mit Mann und Kindern seit 35 Jahren in Dänemark lebt, zu einem Sprachkurs verpflichten. Der EuGH widerspricht in seinem Urteil der Forderung der dänischen Behörden. Er beruft sich dabei auf andere Integrationsindikatoren als eine Sprachprüfung und verweist auf den Lebensmittelpunkt von Ehemann und Kindern in Dänemark. Dies wäre auch als Integrationsfaktor der Ehefrau zu werten[1]. Wie schön wäre es, wenn sich die Politik hierzulande auch einem solchen erweiterten Verständnis von Integration anschließen könnte.

Wer einen oder mehrere Deutschkurse besucht hat, ist nicht automatisch ein „integrierter“ Mitmensch. Als integriert kann sich betrachten, wer dazu gehört, ohne seinen guten Willen beweisen zu müssen. Integriert ist, wer ebenso wie alle anderen das Recht hat, seine Identität auszuleben und sich nicht dafür rechtfertigen muss, wer sich willkommen fühlt, wer so sein darf, wie sie/er ist. Für all das ist – besser gesagt „wäre“ – viel mehr nötig, als nur, dass der:die Einwander:in gut Deutsch beherrscht. Leider wird die viel beschworene Integration immer noch oft als simple Anpassung verstanden.

Deutsch auf jeden Fall, aber …

Leiter:innen oder Organisator:innen von Deutschkursen beantworteten unsere Frage „Wollen Sie/willst du, dass jede:r Zuwander:in Deutschkurse besucht?“ naturgemäß sämtlich mit „Ja“. Allerdings ist es für sie selbstverständlich, dass die Kurse allein nicht den gewünschten Effekt bringen, denn sie arbeiten alle in einem Umfeld bzw. in einer Organisation, die über Kurse hinaus auch verschiedenste andere Kontakt- und Begegnungsmöglichkeiten anbieten. Dazu zählen zum Beispiel Sprachencafés, Kommunikationsrunden, kulturelle Veranstaltungen und Ähnliches.

Frau H., Kursleiterin in einem Wiener Migrantinnenverein, warnt vor der Entstehung von Abhängigkeitsverhältnissen und einer Parentifizierung der Kinder (also, dass Kinder aufgrund ihrer Deutschkenntnisse in die Elternrolle gedrängt werden). „Um das zu verhindern und eine selbstbestimmte Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen zu ermöglichen, ist der Erwerb von Deutschkenntnissen von großer Bedeutung“, betont sie.

„Grundsätzlich soll es für alle Ankommenden die Möglichkeit geben, einen Deutschkurs zu besuchen, und vor allem ganz frühzeitig – insbesondere auch für Menschen, die im laufenden Asylverfahren sind“, fordert R.R., Geschäftsführer einer großen soziale Organisation in der Steiermark mit vielseitigen Angeboten, darunter auch Kurse für Deutsch als Fremdsprache. „Natürlich ist es wichtig, die Sprache des Landes zu können“, zeigt er sich von der Sinnhaftigkeit dieses Angebots überzeugt, „aber Menschen mit Flucht- und Migrationsbiographie dürfen nicht nur defizitorientiert wahrgenommen werden, sondern wir sollten auch ihre mitgebrachten Kompetenzen sehen und schätzen, unter anderem auch die Mehrsprachigkeit“.

Auch Herr M.M. hat nicht das Gefühl, dass in Österreich geschätzt wird, was er an Fertigkeiten mitbringt: „Ich bin handwerklich sehr genau und geschickt. Aber die Mehrheit der Österreicher:innen interessiert das nicht. Viele sind erstaunt, wie gut ich Deutsch kann, aber sie schätzen weder meine sozialen noch meine sonstigen Fähigkeiten. Ich werde immer der Ausländer bleiben.“

Einzig Frau E. aus Bosnien, die zuerst zwei Deutschkurse absolvierte und bald darauf ihre Mitarbeit beim selben Verein begann, der diese Kurse angeboten hatte (https://stationwien.org), kann zu diesem Punkt vom Gegenteil berichten. Für sie waren die Kurse der Anstoß und die Plattform schlechthin für ihre spätere Entwicklung. Mittlerweile ist sie Koordinatorin von Kursen und vielen anderen Aktivitäten für Migrant:innen, denn auch ihr ist die Wichtigkeit von Begegnungsangeboten voll bewusst.

Gute Beispiele zeigen

Zum Glück gibt es auch Positives zu berichten. Weitgehend vor der Öffentlichkeit verborgen, finden im ländlichen Raum vielerorts im privaten Bereich oder im Rahmen von öffentlichen Aktivitäten kleinerer Gemeinden Begegnung und Integration statt. Die wachsende Anonymität in der Großstadt erweist sich hier als Problem. Umso wichtiger Ausnahmen, wie z.B. der oben erwähnte Verein Station Wien oder die ebenfalls in Wien beheimatete Initiative Dunya („Welt“ auf arabisch) als gute Beispiele vor den Vorhang zu bitten. Bei Dunya stellt eine Reiseleiterin ihre Kompetenzen zur Verfügung und organisiert Ausflüge in Wien und Umgebung. Es ist ein niederschwelliges Angebot, das sich nicht nur an zugewanderte Personen richtet, sondern an alle Interessierten (https://www.dunya.at). Ein einfaches Prinzip – und doch sehr wirkungsvoll.

Ähnlich agieren die Mitarbeiter:innen des Projekts diversoviel. Sie stellen in der Franzensbrückenstraße in der Nähe des Wiener Praters ein Lokal für Community-Aktivitäten zur Verfügung (https://www.diversoviel.at). Auch hier wird nicht nach Herkunft oder Aufenthaltsstatus gefragt, sondern stattdessen genäht, gesungen, gekocht, gefeiert – was Menschen in ihrer Freizeit eben verbindet.

Der alte Spruch „Wir sind alle überall Ausländer:innen, außer in unserem Herkunftsland“ könnte sinngemäß folgendermaßen erweitert werden: „Wir sind alle lernende Menschen – nicht nur im Kurs und solange wir jung sind“. Und: „Wir sind alle immer wieder Anfänger:innen. Wir alle können vieles nicht und trotzdem wollen wir als ganze Menschen gesehen werden.“ Wir haben (glücklicherweise) keine Maschine zur Verfügung, in die ein Mensch hineingesteckt werden kann und wunschgemäß umgewandelt wieder herauskommt. Die einfachen Lösungen sind meist nicht die besten und was Integration wirklich bedeutet, soll jede:r für sich selbst beantworten, indem sie:er sich daran erinnert, wie hart es als Kind war, wenn irgendeine Kleinigkeit dazu führte, dass man nicht mitspielen durfte.

Mitarbeit: Eva Reithofer-Haidacher


[1] www.sprachenrechte.at