Tiroler:innen haben den Ruf, gegenüber Fremden abweisend zu sein. Majed kann das nicht bestätigen. Er hat viel Unterstützung erfahren und hilft heute Geflüchteten beim Ankommen.

Von Herbert Langthaler

Majed Altalaa war im Norden Syriens Polizist, genauer gesagt, Offizier mit einer akademischen Ausbildung. Für ihn und seine Familie, die als Araber:innen im Norden Syriens zwischen allen Fronten stehen, wird es mit Fortdauer des 2011 ausgebrochenen Bürgerkriegs immer gefährlicher. „Da kämpften alle mit allen“, beschreibt Majed die Situation. Also verließ die sechsköpfige Familie das Land, zunächst in die Türkei, wo er die Familie zurückließ und sich im August 2015 dem großen Track nach Europa anschloss. Mit dem Schlauchboot fuhr er zusammen mit 56 anderen nach Griechenland und setzte die Flucht in einer über 300-köpfigen Gruppe zu Fuß, mit Bussen und Zügen bis nach Ungarn fort. Dort löste sich die Gruppe auf, und Majed, der eigentlich nach Deutschland wollte, kam nach Österreich. Hier wurde er von der Polizei festgenommen: „Sie haben mir gesagt, ich muss meine Fingerabrücke geben, sonst bringen sie mich nach Serbien.“

Eine große Runde durch Österreich

Nach einer Nacht in Polizeigewahrsam wurde Majed nach Traiskirchen geschickt und von dort nach Klagenfurt. Als eine weitere Verlegung, diesmal in die Slowakei, angekündigt wurde, bekamen viele seiner Leidensgenossen Angst. „Die Security hat uns gewarnt, wir sollten nicht gehen. Andere haben gesagt, dass wir, wenn wir gehen, in zehn Tagen Papiere bekommen würden“, erzählt Majed. Die Angst siegte und die Bewohner:innen der Camps weigerten sich, in die Slowakei zu gehen: „Die Verwaltung war sehr böse und hat die Polizei gerufen und fast alle Leute wurden nach Kufstein gebracht.“ Auch dort sollte Majed kein längerer Aufenthalt vergönnt sein, nach zwei Wochen ging es weiter nach Lienz. „Eine große Runde“, meint er heute lapidar.

Kein Guter Start

Die erste Zeit in einem Grundversorgungsquartier in Lienz ist in schlechter Erinnerung geblieben: „Wir waren zu zehnt in einem Zimmer. Die meisten Leute schliefen am Tag und spielten Karten in der Nacht.“ Nach zehn Tagen ohne richtigen Schlaf war Majed mit den Nerven am Ende: „Ich wollte zurück nach Syrien, es war die schlimmste Zeit meines Lebens, härter als im Gefängnis in Syrien.“ Nach vielen Interventionen schaffte er es, in ein anderes Quartier verlegt zu werden. Inzwischen war es Winter geworden, die folgenden fünf Jahre sollte der syrische Neuankömmling in Osttirol bleiben.

Majed erlebte auch viel Unterstützung von Ehrenamtlichen beim Deutschlernen oder bei der Suche nach einer neuen Bleibe nach dem Ende des Asylverfahrens Ende 2016. Der Ex-Spitzensportler wurde eingeladen, mit den Einheimischen Basketball zu spielen und machte bei dem Theaterprojekt Warum sind wir hier mit.

Das Frühjahr 2017 brachte große Freude: Majeds Frau und die vier gemeinsamen Kinder durften im Rahmen der Familienzusammenführung aus der Türkei einreisen – ein neues Quartier wird notwendig. In Leisach, wenige Kilometer südlich von Lienz, kann mit Hilfe des Pfarrers ein Haus gefunden werden. Majed besucht einen Deutschkurs, arbeitet ehrenamtlich beim Roten Kreuz, wo er auch 2019 eine Sanitäter-Ausbildung beginnt.

Arbeitsmarkteinstieg dank Pandemie

Der Ausbruch der Corona-Pandemie bringt dann 2020 den ersten richtigen Job: Corona-Tester für eine private Firma. Allerdings muss Majed dafür nach Innsbruck übersiedeln. Etliche Monate bleibt die Familie getrennt, Majed pendelt nach Lienz. „Ich habe vier Monate in ganz Tirol eine Wohnung für sechs Personen gesucht – aber niemand will an eine so große Familie vermieten. Alle haben gesagt, geht nach Wien“, erinnert er sich.

Immer wieder fragt Majed die Menschen, die er testet, ob sie von einer freien Wohnung wissen – endlich bekommt er die Adresse einer Genossenschaft. Zwar muss die Familie immer wieder übersiedeln, aber man ist zufrieden. Die Kinder – zwei Töchter im Alter von 18 und 11 Jahren sowie zwei Söhne im Alter von 17 und 13 Jahren – können in die Schule gehen. Inzwischen haben die älteren eine Ausbildung im örtlichen Hilton-Hotel begonnen.

Mit dem Ende der Pandemie ist auch der Job weg und Majed überlegt, nach Wien zu übersiedeln. Dabei macht allerdings die Familie nicht mit. Schließlich findet er eine Anstellung als Heimleiter eines Flüchtlingsquartiers des TSD (Tiroler Soziale Dienste) in Zirl. Seine Frau, sie war in Syrien Lehrerin, hat mit der Tochter einen Online-Handel aufgebaut. Seit kurzem ist Majed österreichischer Staatsbürger: „Ich habe es nie gedacht, dass ich es schaffe, weil es so schwierig ist. Man muss perfekt sein, keine Strafe, keine Sozialhilfe, man muss sein wie ein Engel.“

Die Zukunft bleibt ungewiss. Wegen der wenigen Asylanträge wurden zuletzt einige Häuser des TSD geschlossen. „Vielleicht verliere ich die Arbeit“, befürchtet Majed. In diesem Fall würde er gerne für ein paar Monate nach Syrien zurückkehren: „Es gibt dort eine Organisation, die macht Katastrophenschutz. Dort möchte ich ein paar Monate freiwillig arbeiten, für meine Seele.“