Vier Monate Dreierkoalition. Eine Bilanz im Asyl- und Integrationsbereich

Von Lukas Gahleitner-Gertz

Die längsten Regierungsverhandlungen der 2. Republik brachten die erste Regierung, die aus drei Parteien gebildet wurde, hervor. ÖVP, SPÖ und NEOS einigten sich nach dem ersten Scheitern Anfang des Jahres und einem Monat Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP doch noch auf ein gemeinsames Programm. Am 3. März wurde das Kabinett von Bundeskanzler Stocker angelobt. Das Regierungsprogramm wurde mit dem verheißungsvollen Titel „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich.“ versehen.

Das Regierungsprogramm

Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit der FPÖ musste es schnell gehen: Die drei Parteien nahmen das Verhandlungsergebnis der gescheiterten Verhandlungen vom Dezember als Grundlage. Im Asyl- und Integrationsbereich gab es dabei schon weitestgehende Übereinstimmungen, die im Wesentlichen nur durch einen Punkt ergänzt wurden: Der „Stopp des Familiennachzugs“ wurde in der koalitionären Verhandlungsampel noch auf Grün gestellt. Man einigte sich auf die Feststellung einer nicht näher konkretisierten gesamtstaatlichen Überlastung des Bildungssystems, die eine vorübergehende Aussetzung der Zusammenführung von in Österreich asylberechtigten Personen mit ihren engsten Familienangehörigen erforderlich mache.

Die Handschrift der ÖVP ist nicht nur in der Gliederung klar erkennbar: Die Unterkapitel „Asyl“ und „Integration“ finden sich neben „Landesverteidigung“ im Sicherheitskapitel. Im Wahlkampf hatte die SPÖ noch die Einrichtung eines eigenen Migrationsministeriums gefordert und dass Integration „nicht mehr in erster Linie als Sicherheitsthema“ behandelt werde.[1]

Das Asylkapitel ist dominiert von Punkten, zu deren Umsetzung Österreich aufgrund des beschlossenen EU-Paktes zum „Gemeinsamen Europäischen Asylsystem“ ohnehin verpflichtet ist. Von der ÖVP forcierte Vorhaben wie die Einrichtung eines nicht näher definierten „spezifischen Migrationsfonds“ und die „Umsetzung innovativer Konzepte mit Drittstaaten“ fanden Eingang in das Programm. Aufgrund des massiven Budgetdefizits, das nach dem Wechsel des damaligen ÖVP-Finanzministers Brunner als EU-Migrationskommissar nach Brüssel publik wurde, gibt es hier keine realistischen Aussichten auf Umsetzung in dieser Legislaturperiode.

Im Bereich Grundversorgung finden sich im Regierungsprogramm auf Initiative von NEOS und SPÖ einige Punkte, die notwendige Verbesserungen in der Praxis bringen könnten. Die automatische Inflationsabgeltung im Bereich der Tagsätze wird wohl aufgrund des Budgetlochs – wenn überhaupt – erst ab 2027/2028 eine Möglichkeit der Umsetzung sehen. Die Einführung von bundesweit einheitlichen Mindestqualitätsstandards in Unterbringung und Versorgung wäre ein wichtiger Schritt kurz nach dem 20. Jubiläum des Bestehens des Grundversorgungssystems.

„Sofort heißt jetzt“ – in 120 Tagen

Während sich NEOS und SPÖ im Wahlkampf noch zaghaft für den Ausbau legaler Fluchtwege als wirksames Mittel im „Kampf gegen die irreguläre Migration“ eingesetzt haben, steckte ÖVP-Kanzler Stocker schon in seinen Antrittsinterviews den Rahmen ab: Er kündigte eine Verordnung durch den Innenminister an, mit der der einzige legale Fluchtweg, die Familienzusammenführung, sofort gestoppt werden sollte. Nach einigen Tagen Rätselraten kam die Regierung zum Schluss, dass es überhaupt keine gesetzliche Grundlage für eine derartige Verordnung gibt. Innerhalb weniger Wochen wurde eine gesetzliche Notverordnungsermächtigung beschlossen, die dem Innenminister im Einvernehmen mit der Koalitionsmehrheit im Hauptausschuss des Nationalrats das Abweichen von bestehendem EU-Recht erlauben solle. Nach dem Gesetzesbeschluss folgte sofort die Feststellung der erforderlichen gesamtstaatlichen Notlage, die die Bundesregierung auf knapp 50 Seiten vor allem mit dem hohen Anteil von Volksschüler:innen mit „nicht-deutscher Umgangssprache“ begründete. Die NEOS machten sich noch für einen verbesserten Rechtsschutz stark: Es wurde ein zusätzliches Verfahren eingeführt, in dem die Behörde auf Antrag feststellen muss, ob im konkreten Fall eine Nichtbehandlung des Einreiseantrags zulässig ist oder ob die Verordnung nicht zur Anwendung kommt.

Exakt 122 Tage nach Stockers Ankündigung trat der Familienzusammenführungsstopp in Kraft. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das medial breit angekündigte „Drücken der Stopptaste“ just dann erfolgte, als die Anzahl der relevanten anhängigen Einreiseanträge bereits auf weit unter 2.000 Anträge gesunken war.

„Sich gegenseitig Erfolge gönnen“

Das türkis-grüne Motto „Beste aus beiden Welten“ wurde unter der Dreierkoalition zu „sich gegenseitig Erfolge gönnen“: Man vereinbarte, dass jede der drei Parteien alternierend ein Thema setzen durfte. Dem „Mietenstopp im Altbau“ der SPÖ folgte ein „Handystopp in der Schule“ der NEOS im Abtausch mit dem „Familiennachzugsstopp“ der ÖVP. Die „Koalition der letzten Chance“[2] gönnte sich also zum Start einen Fokus auf ein allgemeines Bremsprogramm.

Der Asylbereich wurde wie auch in der Vergangenheit gänzlich der ÖVP überlassen: Trotz massiv rückläufiger Antragszahlen und der niedrigsten Anzahl von Asylwerber:innen in Grundversorgung seit Aufzeichnungsbeginn entschied sich das Innenministerium dafür, sich auf die EU-Notfallsklausel zu stützen. Der EuGH hat bisher in allen Fällen, in denen dies Mitgliedstaaten versucht haben, die Anwendung für unzulässig erklärt. Voraussetzung wäre eine gesamtstaatliche Notlage, hausgemachte Probleme wie etwa mangelnde Kooperation der Bundesländer in einem föderalen System wie Österreich können allerdings keine Rechtfertigung für Notmaßnahmen sein.

Akteure in allen Parteien wissen, dass das österreichische Vorgehen vor dem Europäischen Gerichtshof nicht halten wird. Dennoch unterstützt die Regierungskoalition das Vorgehen der ÖVP: Man gönnt ihr die oftmals behauptete Vorreiterrolle im Asylbereich.

Als im Juni Österreich als erstes EU-Land trotz einiger Anlaufprobleme und Fehlversuche einen syrischen Staatsangehörigen nach Syrien abgeschoben hat, stieß dies in der Koalition durchaus auf Zustimmung. Dass das Innenministerium gleichzeitig seit Monaten behauptet, aufgrund der unklaren Situation in Syrien keine anhängigen Verfahren entscheiden zu können, erregte keinen Widerspruch.

Personelle Umstellungen

Bei der ÖVP rückte der bisherige Integrationssprecher Ernst Gödl als Vorsitzender des für Asylfragen relevanten Innenausschusses im Parlament dem nunmehrigen Bundeskanzler Stocker nach. Er ist auch für die Bereiche Sicherheit und Migration zuständig. Die eigentliche Machtbasis der ÖVP im Asylbereich sitzt aber ohnehin unverändert im Innenresort.

Bei der SPÖ rückte der ehemalige Wiener Stadtrat Christian Oxonitsch, der für Integration zuständig ist, stärker ins Blickfeld. Er war auch Mitglied des SPÖ-Teams bei den Regierungsverhandlungen. Für den Bereich Inneres, dem auch die Asylagenden zuzurechnen sind, ist hingegen der burgenländische Doskozil-Vertraute Maximilian Köllner zuständig.

Steffi Krisper, die in den vergangenen Jahren durch ihre beharrliche Oppositions- und Kontrollarbeit im Asylbereich die wohl renommierteste Abgeordnete in diesem Bereich gewesen ist, wurde von der Abgeordneten Sophie Wotschke als Sprecherin im Asylbereich abgelöst. Krispers Ablöse kann nur als Zugeständnis an die ÖVP gewertet werden: Es ist kaum denkbar, wie der ÖVP im Asylbereich „Erfolge gegönnt“ werden sollen und gleichzeitig das Gesicht Krispers gewahrt werden kann. Der neue Klubobmann Yannick Shetty, der die FPÖ als „Brandmelder“ im Bereich Integration und Asyl bezeichnet, behielt die Funktion des Integrationssprechers.

Vor dem Hintergrund des Regierungsprogramms zeigen die personellen Aufstellungen klar auf, dass von den Regierungsparteien der Asylbereich der ÖVP als unumstrittenes Handlungsfeld überlassen worden ist. Im Bereich Integration ist insbesondere aufgrund der Verknüpfung der geplanten Neufassung der Sozialhilfe mehr Konfliktpotential zu erwarten. Hier ist das SPÖ-geführte Sozialministerium zuständig. Die ersten Monate haben aber klar gezeigt, dass Integrationsministerin Plakolm offenbar die Aufgabe zukommt, der Sozialministerin medial auf die Füße zu steigen, um hier Druck auszuüben.

ÖVP doing ÖVP things

Das wohl medial prominenteste Thema der ersten vier Monate neben der Verabschiedung des Budgets betraf den Asylbereich: Die Regierungsparteien änderten das Asylgesetz und der ÖVP-Innenminister erklärte widerstandslos eine nicht nachvollziehbare gesamtstaatliche Gefährdung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit, um die Grundrechte von Asylberechtigten auf Privat- und Familienleben einzuschränken.

Im Integrationsbereich übernahm Claudia Plakolm nicht nur das Zepter von Susanne Raab, sondern führte auch dieselbe Linie fort: In beeindruckender Regelmäßigkeit werden umfragebasierte Themen lanciert, um die Minister:innen der Koalitionspartner in die Defensive zu drängen.

Von der SPÖ und NEOS wurden bislang sämtliche ÖVP-Initiativen ohne nennenswerte Gegenwehr hingenommen: Im Gegenteil, der SPÖ-Staatssekretär Leichtfried verteidigte den Stopp der Familienzusammenführung im Bundesrat ausführlich.

Von den laut angekündigten Maßnahmen zu „Integration ab Tag 1“ ist bislang nichts zu sehen oder hören. Angesichts des vom Integrationsministerium eingemeldeten Budgetbedarfs ist hier nicht davon auszugehen, dass in diesem Bereich das ursprünglich erwartete Leuchtturmprojekt entstehen wird.

Die Erwartungen an die Dreierkoalition im Asyl- und Integrationsbereich waren äußerst gering. Sie wurden in den ersten Monaten aber dennoch enttäuscht. Es wird nicht reichen, in der gesamten Legislaturperiode nur darauf zu verweisen, dass es unter einer FPÖ-Beteiligung wohl unbestritten zu noch größeren Einschnitten im Asyl- und Integrationsbereich gekommen wäre.

Die Koalition spielt seit Anbeginn am Spielfeld der FPÖ und setzt deren Politik im Asylbereich um. In der Zwischenzeit hat die ÖVP auch den Integrationsbereich in den Bundesländern vollkommen aufgegeben: Mittlerweile sind schon vier von neun Landesräten, die für Integration zuständig sind, von der FPÖ. Die Umfragewerte der FPÖ liegen trotz (oder gerade wegen) gravierender Einschnitte im Asyl- und Integrationsbereich jenseits der 30%.

Die Koalition der letzten Chance nützt diese bislang nicht.


[1] SPÖ Zukunftsforum, Positionen für eine sozialdemokratische Migrations-, Integrations- und Asylpolitik, Juni 2025

[2] Konrad-Adenauer-Stiftung, Die Koalition der letzten Chance, 01.04.2025